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FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 1/2023 vom 19.01.2023

 

Das Jahr 2022 abhaken und Blick nach vorn richten!

 

  • Blick zurück auf den Markt und auf die FPM Funds
  • Was zählt nun für den Blick nach vorne?
  • Viele Unternehmen gut gewappnet
  • Krisen und deren Auswirkungen auf Kurse und Bewertung
  • Wettbewerbsfähigkeit und das gebannte Risiko einer unzureichenden Energieversorgung
  • Positiver Ausblick – trotz allem

Das Jahr 2022 ist Geschichte, und die große Mehrheit der Marktteilnehmer dürfte darüber froh sein. Mit den meisten Assetklassen hatte man beste Chancen, Geld zu verlieren. Allerdings waren die Unterschiede in der Performanceentwicklung massiv, mit der Folge, dass viele eher überschaubare Kursrückgänge wahrscheinlich nur temporär sein dürften, während manche Investments permanente Verluste beschert haben dürften. Das macht den Unterschied auf längere Sicht: Ist man noch im Spiel, oder wurde man ausgeknockt?

Blick zurück auf den Markt …

Am deutschen Aktienmarkt waren die wenigen Gewinner die Unternehmen, die vom Kriegsausbruch geschäftlich profitieren konnten und zuvor eine niedrige Bewertung hatten, sowie die Unternehmen, die von steigenden Zinsen profitierten, vorneweg natürlich Banken und Versicherungen.

Das Gros der Aktien verzeichnete spürbare zweistellige Verluste, selbst wenn die Entwicklung des eigentlichen Geschäfts solide war. Schwer traf es dagegen die vormaligen Highflyer, insbesondere aus dem Wachstumsbereich, vor allem dann, wenn hohe Bewertungen auf schwächer als erwartete Geschäftsentwicklungen trafen: Dann konnte man auch einen Kursverlust von 50 bis 90 % erleben, teilweise ohne dass das Geschäftsmodell eines Unternehmens grundsätzlich wesentlich beeinträchtigt war. Hier zeigte sich in voller Schönheit der Effekt des Value-Investings: Nichts ist so großartig, als dass man jeden Preis dafür zahlen sollte. Allerdings sehen wir mittlerweile auch wieder größere Chancen in diesem Bereich, um dies vorwegzunehmen.

… und auf die FPM Funds

Im letzten Jahr verzeichneten die FPM Funds Verluste, die sich im Rahmen der unterschiedlichen Indizes bewegten. Die Bandbreite der Performance der Investments war erheblich, von signifikanten Gewinnen hin zu deutlichen Verlusten. Weiterhin machte den Fonds, unter relativen Gesichtspunkten, die vergleichsweise gute Performance stabiler Aktien zu schaffen, auf die wir seit Jahren angesichts der hohen Bewertung verzichten. Schlecht war auch die Performance einer Reihe von Nebenwerten, deren Geschäftsentwicklung zwar ordentlich verlief, die aber in unseren Augen von vielen Marktteilnehmern zur Risikoreduktion verkauft wurden, meistens auch nur deshalb, weil es Nebenwerte waren. Relativ gesehen war es dagegen sehr hilfreich, dass die ehemals teuren Wachstumswerte und die Profiteure tiefer Zinsen wie vor allem Immobilienunternehmen nur in einem unterdurchschnittlichen Rahmen im Portfolio vertreten waren: Dort waren die Verluste teilweise sehr heftig. In Summe: Die Kurse gingen zurück, die Bewertung ebenfalls, so dass die Portfolios heute noch attraktiver bewertet sind als vor einem Jahr.

The big picture: Einordnung in den Gesamtzusammenhang

Schaut man auf die Rahmenbedingungen, so sind die Verluste am deutschen Aktienmarkt sogar noch fast erträglich. In der Vergangenheit haben weit geringere Probleme deutlich höhere Kursverluste verursacht, und wie gesagt: Eine ganze Reihe nicht gerade kleiner Unternehmen hat sogar Kursgewinne verzeichnen können. Das spricht in unseren Augen eindeutig für eine nachhaltige tiefe Bewertung der Assetklasse „Deutsche Aktien“, die im letzten Jahr von vielen Investoren offensichtlich endgültig, d. h. bis zur nächsten starken Performance des Marktes, aufgegeben worden ist.

Unter den Widrigkeiten zu nennen sind an erster Stelle der Krieg in der Ukraine, danach das ganze Konglomerat steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise, in die Höhe schießende Inflationszahlen, Notenbanken, die ihre Nullzinspolitik über Bord warfen, und natürlich weiterhin Corona-Einschränkungen, vor allem in China, die globalen Wertschöpfungsketten beeinträchtigend, sowie geopolitische Spannungen an allen Orten. Das sollte eigentlich für eine veritable Krise ausreichen, und dies war dann auch der Fall: Allerdings nicht so sehr am Aktienmarkt, wo man sich in den letzten beiden Jahrzehnten an Verwerfungen gewöhnen konnte, sondern an den Bondmärkten, wo man sich sonst immer auch in den dunkelsten Stunden wohl fühlen konnte und wo zur Not die Notenbanken ausgeholfen haben. Am deutschen Bondmarkt sind die Gewinne fast der letzten zehn Jahre innerhalb von wenigen Monaten in Rauch aufgegangen. Als Ergebnis wird nun mitnichten eine attraktive Verzinsung geboten, wie dies nach Kurseinbrüchen eigentlich der Fall sein sollte: Die Zinsen liegen weiterhin mehr oder weniger deutlich unter den aktuellen und erwarteten Inflationsraten. Realverluste sind somit auch für die nächsten Jahre fast garantiert.

Was zählt nun für den Blick nach vorne?

In einer extrem schwierigen Lage haben sich Deutschland und Europa bisher weit besser als befürchtet aus der Affäre gezogen. Die konsequente Haltung gegen Russland und die Unterstützung der Ukraine sowie der Zusammenhalt in der Nato mit den USA sind eine bemerkenswerte politische Entwicklung, die vor einem Jahr nicht zwangsläufig zu erwarten war. Die damit verbundene Einstellung der Lieferung von russischem Gas konnte auch auf die kurze Frist weitgehend kompensiert werden, mit dem Einspringen des Staats zur Kompensation kurzfristiger Härten. Aus einem heraufziehenden Albtraum wurde die Chance zu einer Dynamisierung der Energiewende, vielleicht zum Abbau der wuchernden Bürokratie und dem Fokus auf das Wesentliche, was in den Unternehmen vielleicht noch schneller begriffen wurde als von vielen in Politik und Verwaltung.

Viele Unternehmen gut gewappnet

Die von allen Seiten befürchtete heraufziehende Rezession wurde seit mindestens sechs Monaten erwartet, Maßnahmen getroffen, Läger abgebaut, weniger Risiken eingegangen. Das dürfte die Rezession, wenn sie denn kommen sollte, spürbar bremsen: Eine Rezession ist immer dann am unangenehmsten, wenn sie niemand hat kommen sehen und keine Vorbereitungen getroffen wurden. Negativ zu sehen ist andererseits, dass viele Unternehmen noch von den während der Coronapandemie aufgelaufenen Auftragsbeständen profitieren, die nun allmählich auslaufen. Die steigenden Zinsen werden ebenfalls ihren Tribut bei den Schuldnern fordern, und zwar oft erst nach und nach mit dem Auslaufen tief verzinster Kredite. Dagegen stehen einerseits die Gläubiger als Gewinner dieser Entwicklung (nominal, nicht real, siehe oben) und die Tatsache, dass die Zinsen längerfristig gesehen weiter noch nicht hoch sind: Unternehmen, die unter den gegenwärtigen Umständen schon Probleme haben, sollten vielleicht ihr Geschäftsmodell grundsätzlich überdenken.

Inflation und die Rolle Chinas

Zwei wesentliche positive Aspekte aus Sicht der Aktienmärkte sind die Inflationsaussichten sowie die Aufhebung der Coronamaßnahmen in China. Die Inflationsdynamik weist steil nach unten, die Preisblasen des letzten Jahres sind weitgehend verschwunden. Gas in Europa kostet ungefähr so viel wie vor dem Ukrainekrieg, Ölpreise, Transport- und Logistikkosten, Gebrauchtwagenpreise sind allesamt im Rückwärtsgang. Mit dem Ende der chaotischen Lockdowns in China werden sich die Beschaffungsketten weiter normalisieren und Knappheiten beseitigt oder reduziert werden. Das dürfte auf die Zinserwartungen drücken, was wiederum gut für die Aktien ist. In China wird sich wahrscheinlich das Wachstum wieder beschleunigen, was ebenfalls das globale Wachstum unterstützen wird.

Krisen und deren Auswirkungen auf Kurse und Bewertung

Wie alle anderen wissen wir nicht, wie sich die nächsten Quartale gestalten werden. Was wir wissen ist, dass sehr viele Aktien trotz der jüngsten Kurserholung unter halbwegs normalen Umständen weiterhin ziemlich niedrig bewertet sind. Somit dürfte die Rezession, sollte sie denn kommen, bereits zu einem großen Teil in den Kursen abgebildet sein, eine Erholung jedoch nicht. Dafür spricht, wie bereits erwähnt, die Tatsache, dass sich die deutschen und europäischen Aktien trotz der extrem schwierigen Rahmenbedingungen halbwegs ordentlich geschlagen haben und erstmals seit mehr als einer Dekade US-Aktien outperformed haben. Kein Vergleich mit den Verlusten beispielsweise der Dot.com-Krise vor 20 Jahren, die aus ökonomischer Sicht eigentlich ein Non-Event war, oder der Banken- und europäischen Staatsschuldenkrisen, die durch simples „Gelddrucken“ zu lösen waren. Heute wie auch in der Coronakrise sind und waren die tatsächlichen und die befürchteten Probleme existentieller. Und das hat sich eben auch in der Bewertung niedergeschlagen: Der Kurs-DAX, also der DAX, der vergleichbar mit dem S&P-Index berechnet wird, nämlich ohne die Dividendenzahlungen, hat gerade erst das Hoch von 2000 übertroffen. Das deutsche Volkseinkommen hat sich seit damals fast verdoppelt, und die Tatsache, dass deutsche Unternehmen heute viel internationaler sind als damals und vom höheren globalen Wachstum profitieren konnten, ist ebenfalls an der Kursentwicklung nicht abzulesen.

Die Dividenden befinden sich auf Rekordständen, die Dividendenrenditen ebenfalls, und hier kürzen Unternehmen eher ungern, solange sie es nicht unbedingt müssen. Viele Aktien, auch mit sehr soliden Geschäftsmodellen, handeln mit einem Discount zum Buchwert, was früher eher Unternehmen vorbehalten war, die Verluste verzeichneten. Die Tatsache, dass mit einer höheren Inflation zu rechnen ist als in den letzten zehn Jahren, spricht ebenfalls für Aktien: Unternehmen sind diejenigen, die die Preise erhöhen können. Insofern ist nominales Wachstum für mehr Unternehmen erreichbar als dies in den letzten zehn Jahren der Fall war, was wiederum für „Value-Aktien“ spricht. Die Knappheitsprämien für Aktien, die in einem Umfeld mit einer sehr niedrigen Inflation Wachstum erzielen können, sollten damit sinken, was diese Aktien angesichts der immer noch hohen Bewertungsprämie weniger attraktiv erscheinen lässt, nachdem, wie bereits erwähnt, die Gewinner tiefer Zinsen wie Immobilien- oder Wachstumsunternehmen bereits spürbare Verluste eingefahren haben. Sozusagen sind die stabilen Wachstumswerte „the last shoe to drop“.

Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland und das gebannte Risiko einer unzureichenden Energieversorgung

Die größte Bedrohung für die deutschen Unternehmen in den letzten Jahren war die Gefahr einer unzureichenden Energieversorgung. Dieses Problem ist auf Sicht von zwei bis drei Jahren sowieso und auf Sicht dieses und des nächsten Winters aller Voraussicht nach ebenfalls gelöst. Die Wahrnehmung von Europa und von Deutschland, insbesondere aus dem Rest der Welt, ist aus unserer Sicht viel zu negativ, auch wenn man damit nicht gleich alle Probleme kleinreden sollte. Deutschlands Erfolg und Wohlstand sind mitnichten – anders als dies häufig genannt wird – im Wesentlichen von billigen Energieimporten abhängig. Und der von global tätigen Unternehmen gleich gar nicht. Energie ist in den entwickelten Volkswirtschaften sehr billig, vor allem in den USA, wo der spezifische Verbrauch dementsprechend höher ist, weil Energieeinsparungen eben einen geringeren Nutzen bringen. Jetzt kann man sich einmal fragen, welche von den amerikanischen Megacaps ihren Erfolg der billigen Energie verdanken. Energie wird lokal verarbeitet und konsumiert, entweder direkt oder in vielen Produkten. Die Zahl der Endprodukte, die mit einem hohen wertmäßigen Energiegehalt durch die Welt transportiert werden, ist sehr überschaubar. Insofern betrifft dies alles nur in einem überschaubaren Rahmen die externe Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland.

Positiver Ausblick – trotz allem

Wen es betreffen wird: Das sind die Verbraucher. Das ist ärgerlich, aber es geht hier um eine Größenordnung der Verteuerung der Energieimporte, die letztendlich vielleicht 40 bis 60 Milliarden Euro für Deutschland betragen dürfte. Das sind 1 bis 1,5 % des Volkseinkommens, oder ungefähr der jährliche Zuwachs der Produktivität. Ich gehe jede Wette ein, dass ein konsequenter Abbau unsinniger Bürokratie ein Vielfaches an Einsparungen bringen sollte. Nachdem sich nun das ganze Land zu freuen scheint, dass man Flüssiggasterminals in zehn Monaten statt in zehn Jahren errichten kann, wäre das ein guter Zeitpunkt, um letzteren ins Auge zu fassen. Aber auch hier gilt: Das sind alles keine guten Gründe, Aktien zu kaufen oder zu verkaufen. Der einzige langfristig sinnvolle Grund, ein Investment einzugehen, ist die ansprechende Bewertung einer Aktie. Und hier gibt es nach einem Jahr des Chaos und der Verwirrungen eine reichhaltige Auswahl über alle Branchen und Größenordnungen der Unternehmen hinweg, die man sich wünschen kann. Und somit gehen wir trotz aller Rezessionsängste von einem deutlich besseren Jahr 2023 aus.

Ihr Martin Wirth

Ältere Kommentare

FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 4/2022 vom 24.10.2022

No place to hide an den Finanzmärkten – und wie es weitergehen könnte mit kühlem Kopf und rationaler Herangehensweise

  • Gewaltiges Bollwerk gegen weiter fallende Kurse
  • In der Rezession kaufen hat sich als die beste Strategie erwiesen
  • Die Rolle von Gaspreisen für das deutsche Wirtschaftsmodell
  • Inflation, Zinsen und Ukraine-Krieg: Umgang mit und Auswirkungen von „Doppelwumms“
  • Szenarien für die Finanzmärkte

Dachte man seit der Jahrtausendwende bereits mehrfach, dass nun etwas Schlimmes geschehen sei, was nicht übertroffen werden könnte, ist man 2022 erneut eines Besseren belehrt worden. Der Rezession 2001 (bemerkbar nur durch sinkende, da zuvor überteuerte Aktienkurse), der Finanzkrise 2007 bis 2009, der Schuldenkrise ab 2011, den Verwerfungen im internationalen Handel, losgetreten durch Donald Trump, folgte die Corona-Pandemie. Diese hat aus heutiger ökonomischer Sicht durch die Lockdowns, aber auch durch die unterschiedlichen staatlichen Eingriffe massive Schäden verursacht, die erst nach und nach ans Licht kommen. Stichworte sind das Durcheinander in Produktion, Logistik und Verwaltung sowie ein Personalmangel in vielen Regionen, etwa durch staatliche Geldgeschenke, vor allem in den USA, die letzten Endes eine seit Jahrzehnten nicht gesehene Inflation verursachten. Letztere wurde natürlich auch verursacht durch in Panik verfallene Notenbanken mit einer extrem expansiven Geldpolitik. Und nun also ein Krieg in Europa, den Russland gegen die Ukraine angezettelt hat. Dieser hat abgesehen von allem anderen ebenfalls in einem erheblichen Umfang zur Inflation und zur Verknappung wichtiger Güter beigetragen. Bleiben vorerst als Steigerungen nur noch der Einsatz von Atombomben, ein Krieg zwischen China und den vielen von China als Rivalen angesehenen Staaten sowie ein Kometeneinschlag. Sowie natürlich die Klimakatastrophe mit ihren Folgen.

Gewaltiges Bollwerk gegen weiter fallende Kurse

Man sieht, wir sind schon weit gekommen, aber es geht noch schlimmer. Jedenfalls wird der Markt nicht getragen von erfreulichen Rahmenbedingungen sowie einem überbordenden Optimismus. Und negative Überraschungen sind etwas, was niemand mehr ausschließen will und in irgendeiner Form bei seinen Investments berücksichtigen wird. Das alles bildet immerhin ein gewaltiges Bollwerk gegen weiter fallende Kurse: Schaut man einmal nicht auf die Indizes und ihre durch eine überschaubare Zahl von großkapitalisierten Titeln halbwegs solide Performance, sieht man eine große Mehrheit von Aktien, die meilenweit von ihren Höchstständen der letzten zehn Jahre entfernt sind.

Inflation, Zinsen und der Krieg in der Ukraine sind ein massiver Gegenwind

Seit Jahresbeginn war der Gegenwind für die Märkte also auf einem rekordverdächtigen Niveau. Zum einen war dies die unterschätzte Inflation sowie die ebenfalls unterschätzte aggressive Bereitschaft der Notenbanken, gegen die Inflation anzugehen, vor allem aber die steigenden langfristigen Zinsen, deren Anstieg sich nur eine Minderheit der Investoren vor zehn Monaten vorstellen konnte. Gleiches gilt für den Krieg in der Ukraine: Zunächst einmal, dass er überhaupt stattfindet. Und dann, dass Russland, nachdem es seine Ziele nicht erreichen konnte, an jeder Stelle, an der es mehrere Alternativen gibt, den Weg der Eskalation wählt.

Aber: Unter den Umständen haben sich relevante Aspekte besser entwickelt als erwartet

Vieles entwickelte sich besser als erwartet: Die Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit der Ukraine, deren Unterstützung durch den Westen, aber auch die signifikante Schwäche von Russland. Diese könnte strategisch einen riesigen Gewinn für die Menschheit darstellen, auch wenn sie auf Sicht der nächsten Quartale und in rein ökonomischer Hinsicht erhebliche Kosten mit sich bringen wird, vor allem in Europa und dort besonders in Deutschland, wie man dies an der Kursentwicklung der Aktien ja ablesen kann. Das Gute ist: Russland, als der globale Schulhofschläger und Rollenvorbild für viele andere Autokraten, hat sich als viel schwächer dargestellt als von allen erwartet, die das Gehabe seit Jahrzehnten aushalten und akzeptieren müssen. Der Preis einer verbesserten Weltordnung ist hoch, vor allem natürlich für die Ukraine. Aber irgendwann war er fällig, wie man heute weiß, und: wahrscheinlich ist er nicht ansatzweise so hoch wie befürchtet. Ebenfalls positiv zu sehen ist nicht zuletzt die Fähigkeit des Westens, sich von russischen Energielieferungen auf absehbare Zeit und unter hohen Kosten, aber eben auch ohne den Zusammenbruch von Industrie und Gesellschaft freimachen zu können. Deutschland scheint für den Winter unter normalen Umständen gerüstet zu sein, und auch die Unternehmen haben vielfältige Maßnahmen getroffen. Als Beispiel kann die BASF dienen: Hieß es im Frühjahr noch, dass bei einer Auslastung von unter 50 % das Werk Ludwigshafen geschlossen werden müsste, wird nun gesagt, dass bei 50 % bereits eine gute Profitabilität beginnt. Dies möglicherweise auf Ebene des Deckungsbeitrags und durch Fokussierung auf höherwertige Produkte, aber eben weit entfernt von den Weltuntergangsszenarien im Frühjahr.

No place to hide an den Finanzmärkten

Im Jahr 2022 gab es kaum einen Platz, an dem man sich mit seinem Kapital sicher verstecken konnte. Staats- und Unternehmensanleihen, hoch bewertete Wachstumstitel, niedrig bewertete Normalaktien: Dies alles stand unter Druck, und aufgrund der besonderen Lage eben auch besonders in Deutschland. Bewertungen sind längerfristig ein entscheidender Treiber für die Kursentwicklung und im Gegensatz zu anderen Treibern besser einzuschätzen. Kurzfristig dominieren jedoch die Abweichungen von Erwartungen. Und hier ergaben sich das ganze Jahr über Verschlechterungen für die Unternehmen, so dass permanent ein Grund gegeben war, Aktien zu verkaufen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Energie, Agrar, teilweise Banken) waren Unternehmen betroffen durch sich verschlechternde Geschäftsaussichten (eher die „Value“-Aktien) oder wurden Opfer ihrer hohen Bewertung, die unter steigenden Zinsen litt. Kombinierte Portfolios mit einem Aktien-/Rentenmix verzeichneten in den USA die schlechtesten Ergebnisse der letzten 100 Jahre, abgesehen von den Jahren 1931 und 1937, was hilft, die Größenordnung einstufen zu können.

Cash war ebenfalls von Anfang an keine Alternative: Reale Verluste in Deutschland in Höhe der Inflationsrate waren vorprogrammiert, was im Nachhinein immer noch weit besser war als das, was den Besitzern von Aktien und Anleihen widerfuhr. Also alles in allem ein Desaster, gegen das man sich als Investor kaum wehren konnte.

Die Frage ist nun, wie es weitergeht und wie man die Lage einschätzen kann.

In der Rezession kaufen hat sich als die beste Strategie erwiesen

Zunächst einmal gilt: Nicht in der Rezession laufen die Märkte schlecht, sondern auf dem Weg dorthin. Während einer Rezession laufen Aktien dann eher schlecht, wenn sie zuvor hoch bewertet waren, und gut, wenn dies nicht der Fall war. Nach einer Rezession ist die Performance dramatisch positiv. Das Dumme ist, dass man erst Monate nach dem Ende einer Rezession weiß, dass sie offiziell beendet wurde. Insofern muss man in den sauren Apfel beißen und kaufen, wenn die Lage unsicher, die Aktien aber billig sind. Wie im letzten Quartalsbericht aus dem Juli bereits angekündigt ist eine Rezession in diesem Winter so gut wie ausgemacht. Das ist jetzt auch der Konsens. Insofern besteht diesbezüglich weitgehende Klarheit. Die offenen Fragen sind: Wie lange wird die Rezession dauern, und wie entwickeln sich die Zinsen und die Inflationsraten. Ohne dazu eine eigene prononcierte Meinung zu haben ist es offensichtlich so, dass die Märkte mittlerweile ein aggressives Vorgehen der Notenbanken erwarten, was somit ebenfalls eingepreist sein dürfte. Wie es aussieht, ist der Zinserhöhungszyklus Ende des Jahres möglicherweise bereits beendet. Zu beachten ist ebenfalls, dass die steigenden Preise, vor allem in Europa und in Deutschland, eine erhebliche restriktive Auswirkung haben werden, die die Wirkung der Zinserhöhungen noch ergänzen wird. Insofern sieht das nicht nur aus wie eine Vollbremsung, das ist eine.

Entscheidend für die weitere Entwicklung ist, wie sich in diesem Umfeld die Inflationsraten entwickeln, und hier gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. Verschiedene Rohstoffpreise fallen seit Monaten und berücksichtigen damit eine schwächere Nachfrage. Die enorm hohen Inflationsraten, die zur Zeit in Europa noch mehr als in Nordamerika zu verzeichnen sind, haben ihre Ursache vor allem in den Verwerfungen auf der Beschaffungsseite. Dies wird sich in den nächsten Quartalen und Jahren wahrscheinlich wieder weitgehend normalisieren. Auf ganz kurze Sicht ist dies nicht möglich, da hilft auch keine restriktive Notenbank. Wie stark Zweitrundeneffekte sein werden wird man sehen. Erste Tarifabschlüsse in Deutschland sehen angesichts der Vorgaben vernünftig aus.

Auch wenn die anstehende Rezession, vor allem in Deutschland, stärker ausfallen könnte als dies in der Regel der Fall ist, hat sie den Vorteil, dass sie seit Monaten erwartet und dementsprechend keine Überraschung sein wird, auf die man sich einstellen muss. Wer das jetzt noch nicht berücksichtigt hat, ist wahrscheinlich am falschen Ort.

Was schwieriger ist als in früheren Rezessionen ist die Unklarheit darüber, wie es mit der Verfügbarkeit bspw. von unterschiedlichen Vor- und Zwischenprodukten aussieht. Nicht alles sieht gelöst aus, allerdings erscheint die Lage weit besser als noch vor wenigen Monaten unter den gegenwärtigen Bedingungen befürchtet wurde. Die Mengen sind das eine, das andere sind die Preise, was insbesondere grüne Politiker, wie in der Kernenergiedebatte sichtbar wurde, nur am Rande zu interessieren scheint. Um einmal die Dimensionen einzuordnen:

Gaspreise sind wichtig, aber nicht allein entscheidend für deutsches Wirtschaftsmodell

Die verteuerten Gaspreise wirken wie eine massive Steuererhöhung, leider durch das Ausland, und diesmal auch eher als Kopfsteuer als an der individuellen Leistungsfähigkeit ausgerichtet, was vor allem private Verbraucher angeht. Im Unternehmensbereich sind die Verwerfungen unterschiedlich, je nachdem ob Unternehmen viel oder wenig Gas benötigen, ihre Beschaffungskosten abgesichert haben oder nicht, ob Gas benötigt wird für höher- oder niedrigwertige Produkte, die Zulieferer weiter produzieren können oder die Produktion in Länder verlagert werden kann, in denen deutlich niedrigere Gaspreise bezahlt werden müssen. Die Kosten liegen nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums bei 60 Mrd. € in 2022 und 100 Mrd. € in 2023. Das entspricht knapp 2 - 3 % des deutschen Volkseinkommens. Zum Vergleich: Die EEG-Umlage zur Finanzierung des Ökostroms lag seit 2010 zwischen 10 und 16 Mrd. € p. a., die Gasrechnung in den vergangenen Jahren bei ca. 20 bis 30 Mrd. €. Wie hoch die tatsächliche Belastung sein wird, wird sich herausstellen. Wenn sich die neuen Bezugsquellen eingependelt haben, dürfte die jährliche Mehrbelastung bei 30 - 40 Mrd. € liegen, also bei 1 % des Volkseinkommens. Das ist nun wirklich nicht das Ende der Welt und entspricht üblicherweise dem Produktivitätszuwachs eines einzigen Jahres. Den Erfolg der deutschen Unternehmen auf die niedrigen Energiepreise zurückzuführen ist lächerlich. Vielleicht schafft es der Staat ja, auch die überbordende Bürokratie zu reduzieren. Erleichtert könnte dies dadurch werden, dass er gerade selbst darunter sichtbar leidet. Dann könnte daraus noch ein positives Ergebnis entstehen und die höhere Gasrechnung überkompensieren.

Der Staat wird Großteil der Zusatzbelastungen übernehmen und zeitlich strecken

Zwei Faktoren sind dabei unsicher:

Zum einen die Frage, wer dies alles bezahlt und wann die Rechnung fällig wird. Mit dem „Doppelwumms“ von bis zu 200 Mrd. €, also 5 % des Volkseinkommens, hat die Regierung beschlossen, einen Großteil der Mehrbelastung erstens zu sozialisieren und zweitens zeitlich zu strecken. Damit wird die deutsche Neuverschuldung richtig gerechnet ungefähr auf dem üblichen französischen Niveau liegen, außerhalb von Krisenzeiten wohlgemerkt. Insofern kein Grund sich aufzuregen, wenn man der üblichen europäischen Argumentation folgt. Damit wird die zu erwartende Rezession erheblich gemildert, auch wenn der Verteilungseffekt aufgrund der noch nicht fixierten Maßnahmen nicht sicher ist. Das Grundprinzip sollte aber jedem ersichtlich sein, auch wenn das Geschrei aufgrund der fehlenden Konkretisierung noch so groß ist. Mit der steigenden Staatsverschuldung dank des erneut beschlossenen Sonderhaushalts wird der Nachfrageausfall mindestens teilweise ausgeglichen, rein rechnerisch sogar weitgehend. Die Rechnung, die an Norwegen und andere Staaten bezahlt wird, zahlt somit der deutsche Staat. Bei den Empfängerstaaten dagegen sieht die Rechnung natürlich genau anders herum aus, minus der zusätzlichen Logistikkosten im Vergleich zur früheren russischen Lieferung. In Summe könnte die Rezession somit weniger stark ausfallen als dies neuerdings teilweise befürchtet wird.

Was auch unsicher, aber relevant ist, sind die indirekten Effekte der explodierenden Gaspreise. Zum einen fehlen Produkte, die gasbasiert sind, aber nur eine geringe Wertschöpfung ausweisen, von der Kohlensäure für die Getränkeindustrie bis hin zu Düngemitteln. Daneben und wahrscheinlich noch wichtiger sind die Verteilungseffekte der verzerrten Preise. Überall bekannt und diskutiert sind die Windfall-Profits der Stromerzeuger, die von den durch das Gas getriebenen hohen Strompreisen profitieren. Je nachdem wie diese gehandhabt werden, werden sie ebenfalls in zweistelliger Milliardenhöhe liegen. Unabhängig davon, wie man dazu steht, führt dies zu weiter erhöhter Unsicherheit. Andererseits wird dieses Geld zu einem großen Teil im Inland verbleiben. Auch dieses Problem ist zeitlich befristet. Es wird allerdings nicht dadurch gelöst, dass man ganz viele erneuerbare Energien dazu baut, was in grenzenloser Naivität die Lösung sein soll, sondern dadurch, dass man die Rohstoffe für die regelbaren Energien aus anderen Quellen besorgt. Aber hier kann man sicher sein, dass dies passieren wird. Auch wenn es nicht immer die lautesten sind, die am meisten verstehen, wenn man die Debatte um das Merit-Order-Prinzip verfolgt.

In Relation zum nominalen Volkseinkommen relativieren sich die Zusatzschulden

Noch ein paar Zahlen zur Einordung der Kosten des „Doppelwumms“ und der Verteilungswirkung, die das gegenwärtige Umfeld hat. Wer nun erschreckt vor der Summe von bis zu 200 Mrd. € sollte sich vor Augen halten, dass es vermutlich nicht die Allgemeinheit ist, die diesen Schaden tragen wird. Unter der Annahme, dass Deutschland in 2022 real wenig wächst, aber eine Inflation von geschätzten 8 % aufweisen wird, führt dies zu einem Zuwachs des nominalen Volkseinkommens von fast 300 Mrd. €. Somit wird die Schuldenquote dadurch alleine kaum steigen, insbesondere, wenn ein guter Teil der staatlichen Unterstützung ins Jahr 2023 fällt. Berücksichtigt man dann noch, dass die Staatseinnahmen von der Inflation erheblich profitieren, ist es nicht ausgeschlossen, dass der Staat trotz steigender Ausgaben rechnerisch auf der Gewinnerseite stehen könnte.

Ökonomisch wird die Rechnung am Ende durch die Nominalsparer bezahlt werden

Wer zahlt dann also das Ganze? Der Nominalsparer. Und zwar in einer atemberaubenden Größenordnung: Lag die reale (Brutto-) Umverteilung in den letzten Jahren bei negativen Zinsen und einer überschaubaren Inflation bei ca. 50 - 100 Mrd. € p. a., sind es 2022 eher 400 (!) Mrd. €. Wer das nicht glauben mag: Hier kommt die Rechnung. Das deutsche Finanzvermögen, weitgehend festverzinslich, beträgt mehr als 5 Bio. €, und bei Zinsen von 0 % und einer Inflation von 8 % ergibt sich der genannte Realwertverlust. Und darin sind die Kursverluste der Anleihen noch nicht einmal enthalten! Wer glaubt, dass Nominalzinsen von nun 2 % für zehnjährige Anleihen attraktiv sind, der sollte noch einmal darüber nachdenken und dabei auch die erwarteten Inflationsraten nicht ganz unterschlagen. Oder es ist ihm egal, was real bei den Investoren ankommt. Zumindest kann man hier auf den ersten Blick erkennen, was man gemeinhin unter „financial repression“ versteht: Die mal langsamere, mal schnellere Enteignung des Sparers durch staatliches Handeln, angefangen von der Zinsmanipulation durch die Notenbanken. Das gab den Staaten in den letzten Jahren die Chance, unangenehme Reformen weitgehend zu vermeiden, dafür aber herzhaft Bürokratie und Sozialstaat auszubauen. Der Dank für letzteres war begrenzt, wie man den Medien täglich entnehmen kann. Und es darf immer mehr sein: In Hessen ist in den letzten 50 Jahren die Zahl der Lehrer um 50 % gestiegen, die der Schüler um 25 % gesunken. Selbst hier möglicherweise nicht Äpfel mit Äpfeln verglichen: Man könnte zum Ergebnis kommen, dass dies eine substantielle Verbesserung ist. Stattdessen wird ein massiver Lehrermangel beklagt und vor dem Zusammenbruch des Schulsystems gewarnt. Vor einer Enteignung der Sparer hat dagegen niemand hörbar gewarnt. Dies sei hiermit für die Leser dieses Berichts getan.

Zu guter Letzt soll aber auch eine weitere Möglichkeit nicht unerwähnt bleiben: Die Inflation wird kollabieren und wieder auf ein Niveau unter 2 % sinken. Und selbst das ist nicht vollkommen ausgeschlossen, wenn auch wahrscheinlich nicht im nächsten Jahr, da dann noch Zweit- und Drittrundeneffekte die Preise treiben werden. Und dann wird die Notenbank die Repression auf tieferem Niveau einfach fortsetzen.

Aktien sind reale Werte, deren Preise durch die Rahmenbedingungen temporär gedrückt sind

Hier wird es ebenfalls spannend für Aktien. Im Augenblick ist der Markt damit beschäftigt, die Schwierigkeiten der nächsten Monate zu erraten und einzupreisen. Das ist nichts Neues: Der Blick auf die Lage in sechs Monaten ist die Kernkompetenz des Aktienmarktes, ernstgemeint und ohne Augenzwinkern. Es ist offensichtlich, dass die Gewinnschätzungen, die derzeit kursieren, zu hoch sind. Analysten orientieren sich nun einmal an den Vorhersagen der Unternehmen, und diese wiederum müssen für eine Anpassung ihrer offiziellen Erwartungen vereinfacht gesagt verschiedene Formalien einhalten, und das benötigt Zeit. Man könnte nun sagen, warum man das nicht erahnen kann. Antwort: Das erledigt der Aktienmarkt von ganz alleine, die Analysten-schätzungen folgen hier nur der Realität. Das ist nicht weiter schlimm, denn Analysten haben viel relevantere Funktionen als die immer richtige Gewinnschätzung zu veröffentlichen.

Mit den Konjunkturerwartungen fielen auch die Aktienkurse …

Mit den fallenden Konjunkturerwartungen und den steigenden Zinsen fielen die Kurse. Soweit wenig überraschend. Auf der anderen Seite ist aber festzustellen, dass die ganz große Mehrheit der Unternehmen es geschafft hat, einen Großteil der Kostensteigerungen an die Kunden weiterzureichen. In einer Rezession mag das temporär anders sein. Bei einer Stabilisierung der Rahmenbedingungen werden Aktien dennoch im Gegensatz zu den Nominalanlagen in der Lage gewesen sein, die Inflation deutlich besser kompensiert zu haben als Anleihen oder Spareinlagen, was sich wie gesagt bereits heute abzeichnet. Wie kommt es dann, dass die Aktien fallen? Eben durch die Fokussierung auf die nächsten sechs Monate, die kurzfristige Nachrichtenlage sowie vielleicht am stärksten von allen Effekten die Liquiditätsnöte vieler Marktteilnehmer. Somit hat man die Chance, mit seiner deutlich stärker entwerteten Liquidität Aktien zu kaufen, deren Wert in den meisten Fällen auf Dauer gesehen real wenig und nominal schon gar nicht gefallen sein dürfte, die aber dennoch deutlich billiger geworden sind. Sieht aus wie ein gutes Geschäft.

… und handeln heute in vielen Fällen auf rekordniedrigen Bewertungen

Deutsche Aktien sind heute in vielen Fällen auf den tiefsten Bewertungslevels der letzten Jahrzehnte, gemessen an der Substanz und nicht an den volatilen Ergebnissen. Insofern ist die Chance für einen solventen und mittelfristig orientierten Investor klar. Was leider vollkommen unklar ist: Wie solvent sind andere Marktteilnehmer? Wer liquidieren muss, verkauft eben, und zwar unabhängig von der Bewertung. Was in den letzten Monaten am Bondmarkt passiert ist, ist epochal. Die Erkenntnis, dass von den Kursgewinnen am Bondmarkt über die letzten zehn Jahre der größte Teil nur in Form temporärer Kursgewinne geliehen war und sich nun in Luft auflöst, ist in seiner Bedeutung für die Solvenz vieler Investoren schwer einschätzbar. Nachdem viele Investoren aus regulatorischen oder anderen Gründen die Volatilität von Aktien nicht mehr aushalten konnten, hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren eine Bewertungsprämie zu Gunsten von Aktien in Rekordhöhe aufgebaut. Darin ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass Aktienbewertungen die reale Verzinsung wiederspiegeln, während Anleihen nur eine nominale Verzinsung bieten. Die sich real betrachtet nun mal eben in Luft auflöst.

Aktien als Realwerte leiden unter einer Inflation in der Regel unterdurchschnittlich …

Das bedeutet nun nicht, dass auf der Aktienseite alles bestens ist. Mit dem Blick auf die aktuelle Performance sieht man, was mögliche Investoren am Aktienmarkt abschreckt. Allerdings wird im gegenwärtigen Umfeld allerhand durcheinander gewürfelt. Um das Potential zu zeigen, dass auch in einem inflationären Umfeld besteht, sollen hier einmal Immobilienaktien dienen, eine Kategorie, die wir in den letzten Jahren wegen der künstlich gedrückten Zinsen gemieden haben. Hier sieht der Markt im Augenblick drei Probleme: Durch die steigenden Zinsen sinkt der Barwert künftiger Erträge, gleichzeitig verteuert sich die Finan-zierung der Schulden. Das bedeutet, c. p., dass der Ertragswert der Unternehmen gesunken ist. Ablesbar an Kursverlusten von 50 bis 80 %. Hinzu kommt die Frage, wie gut die Mieter die gestiegenen Nebenkosten tragen können. Was der Markt vollkommen ignoriert ist die Tatsache, dass der Substanzwert gestiegen ist: Wohnungen zu bauen ist teurer geworden, insofern wird der Bestand nicht verdrängt durch günstigere Neubauten. Gleichzeitig steigt durch die steigenden Löhne auch die nominale Finanzkraft der Mieter, wodurch im Lauf der Zeit auch die Mieten steigen werden. Zudem sind die Anleihekurse deutlich gefallen, womit den Aktionären, die zu heutigen Kursen kaufen würden, weitere Wertzuwächse durch die tief verzinsliche Finanzierung zugewachsen sind.

… und sollten die Abschläge bei Normalisierung des Umfelds mindestens kompensieren

Man sieht, es ist bei realen Werten, und diese werden durch Aktien verbrieft, alles andere als eindeutig, was die Effekte aus Inflation und steigenden Zinsen sind. Auf die teilweise kollabierenden nominalen Pensionsverpflichtungen sei hier noch einmal hingewiesen, die in der Wahrnehmung vieler Marktteilnehmer häufig genug wie unmittelbar fällige Finanzverbindlichkeiten bewertet wurden. In Summe sehen wir es eher so, dass die Aktien vieler Unternehmen ihren REALEN Wert trotz der gegenwärtigen Verwerfungen gehalten haben sollten, auch wenn die nächsten sechs bis zwölf Monate vielleicht nicht besonders angenehm sein dürften. Selbst temporär fallende Gewinne beeinträchtigen den nachhaltigen Wert nur wenig. Die hohen Inflationsraten werden auf Sicht an die Kunden weitergegeben bzw. wurden es schon; sonst hätten wir ja keine Inflation. Ausnahmen werden die Aktien sein, die zuvor auf überhöhten Bewertungen gehandelt wurden. Zahlen werden dies die Besitzer nominaler Werte – und sich später darüber beschweren, dass gewisse Leute immer reicher werden und andere nicht von der Stelle kommen.

Fasst man die Gesamtlage zusammen, so ergibt sich aus unserer Sicht das folgende Bild:

• Zinsen und Inflationsraten sind deutlich gestiegen und mit dem Blick auf die fallenden Rohstoffpreise vermutlich demnächst nahe an ihren Höchstständen.

• Die Notenbanken haben angesichts der sozialen Auswirkungen höherer Inflationsraten ihre Ausrichtung fast panikartig gedreht und werden die Zinsen sehr zügig erhöhen, angesichts der Ursachen der Inflation vielleicht sogar überziehen.

• Dank fallender Kurse bewegt sich die Bewertung vieler Aktien auf den Tiefstständen der letzten Jahrzehnte. Das Sentiment ist schlecht, die Positionierung der Investoren sehr defensiv, die Absicherungen sehr hoch.

• In den nächsten Monaten werden die Nachrichten nicht gut sein. Allerdings müssten für weitere Kursverluste die gegenwärtigen Befürchtungen noch unterboten werden. Anpassungen von Gewinnerwartungen fallen nicht in diese Kategorie: Die heutigen Gewinn-schätzungen nimmt niemand so richtig ernst.

• Mit einem nicht übertriebenen Investmenthorizont von einem Jahr sollte man sich die Lage ausmalen, wie sie in einem Jahr realistischerweise aussehen kann. Den schlechtesten Fall anzunehmen ist nicht konstruktiv.

• Allerdings sollte man die Verwerfungen an den in der Größenordnung dominanten Anleihemärkten im Auge halten, wie etwa den Druck auf die Liquidität relevanter Akteure, und als Investor immer Herr seiner Entscheidungen bleiben.

Der Krieg in der Ukraine wird sich hinziehen, aber mittelfristig nicht relevant sein, solange Russland nicht ultimativ eskaliert. Die Gasknappheit wird sich in den nächsten Jahren nach und nach bereinigen, der Pfad ist heute zunehmend klar. Nochmals: Das größere Problem können die Zinsmärkte sein. Hier lebten viele Marktteilnehmer in den letzten zehn und mehr Jahren von der Illusion, dass ihre Gewinne laufend erwirtschaftet wurden, während ein immer größerer Teil der Rendite dank der Notenbankkäufe auf Kursgewinne zurückzuführen war. Nun haben sich in wenigen Monaten die Gewinne von fünf bis zehn Jahren in Luft aufgelöst, anders als bei Unternehmen, deren reale Substanz konstant angestiegen ist. Insofern stellt sich bei vielen Marktteilnehmern die Frage nach der Solvenz, verschlimmert nur durch Derivate, mit denen Erträge gemanagt werden sollten und die auf einmal nicht mehr liquide sind.

Ganz kurz gesagt: Den zur Zeit sehr großen Chancen stehen sehr große Unsicherheiten gegenüber, und umgekehrt. Sonst wären die Bewertungen nicht da wo sie sind. Kühler Kopf und rationales Herangehen, auch Chancen und nicht nur Risiken zu sehen und gleichzeitig zu beachten, dass dies nicht alle Marktteilnehmer so halten können sind der beste Rat, den wir geben können.

Ihr Martin Wirth

FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 3/2022 vom 13.07.2022

Be greedy when others are fearful*

*Warren Buffett

  • Eine Rezession ist kaum vermeidbar, war aber immer ein guter Zeitpunkt für Investments
  • Energieversorgung ist eine größere Sorge als Inflation und Rezession
  • Die „Zeitenwende“ wird die Überwindung vieler Schwachstellen ermöglichen
  • Auf dem aktuellen Bewertungsniveau überwiegen mittelfristig die Chancen deutlich

Erstes Halbjahr verlief an den Finanzmärkten sehr unerfreulich

Das erste Halbjahr verlief an den internationalen Finanzmärkten äußerst unerfreulich, für viele Marktteilnehmer geradezu katastrophal. Im Juni kam es zu einem Selloff, der die meisten Märkte in das Bärmarkt-Territorium drückte. Die Kombination negativer Einflussfaktoren war dann doch zu viel.

• Die Verteilung von Helikoptergeld, das während der Coronakrise fast überall großzügig unters Volk gebracht wurde, ist weitgehend beendet worden.

• Die durch die Coronakrise verursachten Disrup-tionen fanden dagegen noch kein Ende. Vor allem China glänzte durch unsinnige Maßnahmen, die in der ganzen Welt für Knappheiten sorgten.

• Gestiegene Rohstoffpreise, kombiniert mit zu geringen Investitionen in den letzten Jahren, trieben die allgemeinen Preise weltweit, so dass die Notenbanken endlich gezwungen waren, der Realität ins Auge zu sehen und unglücklicherweise in eine wirtschaftliche Abschwächung hinein begonnen haben, die Zinsen zu erhöhen.

• Der Gipfel der Belastungen war aber in jeder Hinsicht der Überfall von Russland auf die Ukraine, was bekanntermaßen nicht nur eine humane Tragödie ist, sondern vielfältige politische, militärische und wirtschaftliche Auswirkungen hat und weiter haben wird.

Im Juli ging es unmittelbar in dieser Form weiter: Nun droht ein Lieferausfall von russischem Gas nach Europa, was dank der naiven Politik der letzten Jahrzehnte Deutschland mehr als die meisten anderen Staaten treffen würde.

 

Eine Rezession ist kaum vermeidbar, war aber immer ein guter Zeitpunkt für Investments

Die EZB geht weiter davon aus, dass die EU-Volkswirtschaft wächst, in diesem wie im nächsten Jahr. Wir sind ja gerne einmal optimistisch, aber hier fehlt uns die Phantasie, wie das angesichts der vielfachen Verwerfungen bisher und in den nächsten Monaten erreicht werden soll.

Das ist die schlechte Nachricht. Eine gute könnte sein, dass Rezessionen immer ein guter Zeitpunkt waren, um Aktien zu kaufen. Die zweite gute Nachricht für Investoren in der Realwirtschaft: Diese Rezession wird dank der erheblich steigenden Preise keine nominale Rezession sein. Das ist bereits ablesbar an der Entwicklung vieler Unternehmen, die dank stark steigender Preise steigende Umsätze und teilweise auch sehr solide Gewinne erzielen, und zwar auch außerhalb der Grundstoffindustrien. Das ist fast schon wieder lustig, wenn es dann heißt, dass die Rezession noch nicht sichtbar ist.

Der Markt hat die Rezession mehr oder weniger eingepreist. Trotz tieferer Bewertung sind die europäischen Märkte genauso abgesunken wie die amerikanischen. Ursache ist natürlich die politische, militärische und energiepolitische wahrgenommene Schwäche, die zudem den Euro weiter gedrückt hat. Die Befürchtungen hinsichtlich der Gasversorgung vor allem Deutschlands haben sich in den letzten Wochen durch einen massiven Selloff der zyklischen Titel sichtbar gemacht. Manche Strategen sind der Ansicht, dass die Bewertungen nicht konform sind mit dem, was in Rezessionen üblich ist: Das gilt in erster Linie für die Indexebene, nachdem dort weiterhin die in den letzten Jahren äußerst beliebten Qualitätstitel eine hohe Gewichtung bei einer hohen Bewertung aufweisen. Für die „normalen“ Aktien sieht die Welt ganz anders aus.

 

Energieversorgung ist eine größere Sorge als Inflation und Rezession

Wo stehen wir? Wenn die Historie relevant ist, in vielen Bereichen ganz weit unten. Bekanntermaßen ist die Unsicherheit etwas, was an der Börse gar nicht geschätzt wird, und nach Corona sind wir hier erneut in „unchartered territories“. Nicht Konjunkturschwäche und Inflation, sondern die Energieversorgung treibt die Investoren in die Kapitulation. Wobei die beiden ersten Aspekte schon unangenehm genug sind.

Zur Inflation kann man festhalten, dass sie in erster Linie getrieben ist durch die Knappheiten auf der Angebotsseite, immer noch coronabedingt, nun aber auch durch den Ukrainekrieg. Rechnet man diese Effekte heraus, läge die Kerninflation ohne Energie und Nahrung statt des Gesamtwerts von ca. 8 % bei immer noch hohen, aber nicht so absurden 3 bis 4 %. Auch hier sind vermutlich noch Effekte aus den Coronaverwerfungen sichtbar: Logistikkosten, Durcheinander etwa an den Flughäfen, fehlendes Personal, das mittlerweile woanders beschäftigt ist usw. Seit ein paar Wochen jedoch sind die längerfristigen Inflationserwartungen bereits wieder auf einem deutlich fallenden Pfad, so dass vermutlich auch die Zinserhöhungen durch die Notenbanken nicht in die neulich noch befürchteten Höhen führen sollten. Fallende Aktienkurse, Unsicherheiten aufgrund der geopolitischen Lage, einbrechendes Konsumentenvertrauen haben ja ebenfalls restriktive Auswirkungen auf die Konjunktur und das Preisniveau, und insofern wird den Notenbanken die Arbeit teilweise abgenommen.

 

Viele Aktien handeln auf rekordtiefen Bewertungen…

Wo stehen wir auf Ebene der Einzelwerte? Ein paar Beispiele, ohne dass dies Kaufempfehlungen sein sollen. BASF ist bewertet unterhalb des Buchwertes. Das ist in keiner Krise der letzten       20 Jahre passiert. Normalerweise liegt die Bewertung zwischen dem 1,5-fachen und dem        3-fachen des Eigenkapitals. Covestros Bewertung liegt ebenfalls unterhalb des Buchwertes, hinsichtlich des Unternehmenswertes einschließlich der Schulden auf einem Rekordtief. Seit dem Börsengang hat das Unternehmen seine Schulden halbiert, das Eigenkapital verdoppelt, Eigenkapitalrenditen zwischen 10 und 30 % erzielt, und wächst regelmäßig in der Größenordnung von 5 % p.a. Beide Unternehmen haben ein globales Produktionsnetzwerk, bspw. stehen nur 25 % der Anlagen von Covestro in Deutschland.                       Die restlichen 75 % stehen in Ländern, die kein Problem mit dem Gaseinkauf haben. Bei BASF haben sich die Anleger darauf geeinigt, dass Wintershall einen Wert von Null hat, obwohl ein relevanter Teil der Produktion außerhalb Russlands stattfindet, in Russland das Geschäft weiterläuft und eine theoretisch denkbare Enteignung der dortigen Assets vermutlich in irgendeiner Form kompensiert werden wird. Und ja, BASF würde unter Lieferausfällen bei Gas sehr leiden, aber das ist kein dauerhaftes Problem und betrifft nur den kleineren Teil des Konzerns.        Wie gesagt, die Unsicherheit, die an den Aktienmärkten schwer erträglich ist, führt dazu, dass die Investoren lieber den schlimmsten Fall unterstellen und dann an das Thema einen Haken dranmachen.

 

…und nutzen dies vermehrt zu Aktienrückkäufen

Ein anderes Beispiel ist die Zunahme der Unternehmen, die Aktienrückkäufe durchführen, darunter einige Unternehmen, die jahrelang dem Credo anhingen, dass Aktienrückkäufe in die Kategorie unternehmerischen Versagens fallen. Eine Ansicht, die wir natürlich in keiner Weise teilen und die auch vollkommen unlogisch ist.      Sie zeigt aber die Aversion von Unternehmen, das Kapital den Eigentümern auch auf einem anderen Weg als der Dividende zukommen zu lassen:         Mit Dividende kann man sich eher eine Reputation aufbauen. Zudem trägt es auch keine (eher formal relevanten) Kursrisiken, falls die Aktien nach einem Rückkauf einmal auf ein tieferes Niveau fallen. Zu nennen sind hier bspw. BMW oder HeidelbergCement. Es gibt offensichtlich Bewertungsniveaus, bei denen die Dinge neu betrachtet werden.

Jetzt könnten wir noch über 30 bis 100 andere Unternehmen schreiben mit einem ähnlichen Tenor. Das wesentliche ist: Viele Aktien werden heute bewertet mit einem Abschlag auf den fairen Wert zwischen 30 bis 60 %. Wenn ich diesen Abschlag haben will, muss ich zu diesen Kursen kaufen. Ob sie noch billiger werden: Das kann niemand sagen. Was man aber sagen kann:           Die meisten Leute kaufen eben nicht, wenn die Aktien billig sind, sondern wenn sie sich dabei wohlfühlen. Das Dumme an dieser Strategie ist, dass sie zwangsläufig zu nicht mehr als durchschnittlichen Ergebnissen führen kann, wenn überhaupt.

 

Die Begründungen für die tiefen Kurse schließen sich teilweise aus oder sind oft genug losgelöst von den Fakten

Es gibt viele widersinnige Kommentare, die der Unsicherheit an den Märkten geschuldet sind.     Was die Inflation angeht: Die soll auf Jahre hoch bleiben. Nach den angebotsinduzierten Preissteigerungen soll nun eine Lohn-Preisspirale folgen, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu kompensieren. Gleichzeitig wird aufgrund der Erwartung fallender Preise für die Unternehmen, die gerade besonders von den gestiegenen Preisen profitieren, in den nächsten Jahren von deutlich sinkenden Gewinnen ausgegangen. Die augenblicklichen Gewinne werden also als nicht nachhaltig angesehen. Das kann passieren.     Wenn aber die Löhne steigen, aber nicht die Preise, würde die Kaufkraft deutlich zulegen.      Was für die Konjunktur etwas ganz anderes bedeuten würde als die nun angeblich anstehenden mageren Jahre, in denen der Konsum unter den hohen Preissteigerungsraten leidet, da die Verbraucher die Inflationsraten nicht kompensieren können. Am Ende sagt dies mehr über die Stimmung aus (alles ist schlecht, und wenn das einmal nicht der Fall ist, dann wird es schlecht, auch wenn sich die Annahmen gegenseitig ausschließen sollten) als über die Realität. Wir legen uns da einmal auf wenig fest, außer dass wir die Chancen, die sich aus diesen Widersprüchen ergeben, nutzen wollen.              Denn letztendlich werden die Widersprüche eben hingenommen oder ohne Reflektion vorgeschoben, wenn man sich nicht traut, niedrige Bewertungen für Aktien nutzen zu wollen.

Weiterhin eine Anmerkung zu einem Märchen, das die Runde macht: Deutschland habe seinen Wohlstand nur externen Besonderheiten zu verdanken, und die Voraussetzungen dafür sind jetzt entfallen. Der Wohlstand ist in großer Gefahr. Billige Energie aus Russland, Exporte nach China und Sicherheit aus den USA: Einer quatscht dem anderen nach. Gas aus Russland kostete ein paar Mrd. € weniger als Gas aus anderen Ländern, dieser Unterschied war nicht der entscheidende Faktor für das deutsche Wirtschaftssystem, wenn auch von einem gewissen Zusatznutzen. Für ein Land, das pro Monat 1 Mrd. € für angeblich medizinisch fragwürdige Covid-Tests ausgeben kann, nicht die ganz große Nummer. Der Gaspreis wird in den nächsten Quartalen so oder so eine ganz andere Belastung darstellen. Das hat aber mit dem Ukrainekrieg und nicht mit dem deutschen Wirtschaftsmodell, das dann nicht mehr funktionieren soll, zu tun. Und wird nicht nachhaltig so teuer bleiben. Der Preisnachteil von Gas aus anderen Ländern im Vergleich zu Russland liegt weit unter 1 % des BSP – wenn man die Infrastruktur zur Lieferung einmal hat. China ist in der Tat ein riesiger Absatzmarkt, und zwar für die gesamte Welt. Dass deutsche Unternehmen aber naiv gewesen wären und aus heutiger Sicht besser zu Hause geblieben wären, ist Unfug erster Güte. Die Unternehmen sind mittlerweile so groß in China, dass sie selbst massive Investitionen im chinesischen Markt intern finanzieren können, sei es aus eigenen Gewinnen, sei es mit einer Finanzierung durch chinesische Geldgeber. Die angebliche Deglobalisierung liegt auch daran, dass Unternehmen mittlerweile immer lokaler werden: So werden z. B. von deutschen Autoherstellern immer mehr Produktionsstätten in China errichtet, einschließlich einer lokalen Zulieferindustrie (ebenfalls oft die üblichen deutschen Unternehmen), was Kosten, die Gefahr von Handelskriegen, von Zöllen oder steigenden Logistikkosten senkt. Ist das De-Globalisierung? Zudem: Wenn die Wertschöpfung zu einem wachsenden Teil in anderen Ländern stattfindet, dann hat dies zur Folge, dass die ausländischen Märkte für die Unternehmen immer wichtiger werden, für die deutsche Binnenvolkswirtschaft aber das Gegenteil zutrifft. Insofern kann man immer weniger von der deutschen Wirtschaft auf die deutschen Unternehmen schließen.               Siehe Covestro: Ein Viertel der Kapazität in Deutschland, größter Standort Shanghai. Da dies zusätzliche Arbeit für den Top-down-Strategen verursacht, wird dieser Blick auch gerne einmal vermieden, sonst wären vielleicht auch die Aussagen nicht mehr so knackig. Aber vielleicht näher an der Realität. Und zum letzten Argument, dass die Sicherheit an die USA outgesourced wurde: Das stimmt zwar, lag aber nicht am deutschen Verteidigungsetat, der einer der höchsten in der Welt ist, sondern an einer vollkommen verwahrlosten politischen Führung (und das betrifft das Verteidigungsministerium noch nicht einmal an erster Stelle) sowie Verwaltungsstrukturen, die offensichtlich die üblichen Defizite in Deutschland noch weit überbieten. Wenn die Bundeswehr gestärkt werden soll, ist am Ende wohl eher die politische Führung und die Bereitschaft dazu für den Erfolg entscheidender als mehr Geld zu überweisen. Insofern sollte man sich nicht irre machen lassen von Kommentatoren mit starker Haltung und wenig Interesse an Fakten, die gerne einmal aus dem politischen Lager stammen, das staatliches Handeln im Zweifel für erfolgversprechender hält als das, was Unternehmen abliefern. In Summe ist der Defätismus solcher Aussagen vollkommen unproduktiv, vor allem, wenn diese Aussagen die Grundannahme beim Investieren sein sollten.

 

Die „Zeitenwende“ wird die Überwindung vieler Schwachstellen ermöglichen

Das alles soll die gegenwärtige Situation nicht verharmlosen. Es ist nicht nur eine Rezession, die ansteht, es ist eben auch die häufig genannte Zeitenwende. Wie sich die Dinge in den nächsten Jahren entwickeln werden ist offen. Mit Ausnahme eines sich ausweitenden Krieges, von dem ganz sicher Russland auch nichts Positives zu erwarten hätte und der dementsprechend sehr unwahrscheinlich ist, gibt es aber auch substantielle Chancen. Viele Dinge, die sich seit Jahren zäh entwickeln, behindert durch Gesetze und Behörden, mit Massen von Gerichtsverfahren blockiert, können unter dem aktuellen Druck ganz anders gehandhabt werden. So können viele für die Energiewende erforderliche Maßnahmen nun umgesetzt werden. Die Schwächen der deutschen Behörden wurden bereits in der Coronazeit offensichtlich. Mit dem hoffentlich entsprechenden Veränderungsdruck. Daneben wie erwähnt die Bundeswehr, Strukturen in der EU und eine aktivere Außenpolitik, die nicht nur den Autokraten die Bühne überlässt.

 

Die Frage der Gasversorgung ist ernst, aber nicht hoffnungslos

Wie die Frage der Gasversorgung gelöst wird ist offen. Viele Wege können beschritten werden.    Klar ist, dass es eine Lücke in den nächsten Quartalen geben würde, wenn Russland kein Gas mehr liefert. Je nach Gegenmaßnahmen liegt diese Lücke aber vermutlich irgendwo im Bereich 5 bis 20 % des Gasbedarfs. Von dem 50 %-igen Anteil von Russland am gesamten deutschen Gaseinkauf sollte man sich nicht in die Irre führen lassen, auch wenn die vermutlich viel geringere Zahl immer noch unangenehm wäre. Entscheidend aus Sicht des Aktionärs eines Unternehmens wäre zunächst einmal die Frage, wie Unternehmen von dieser Gemengelage betroffen wären. Und hier ist die Antwort nach heutigem Stand der Dinge eindeutig: Unter normalen Umständen würden Produktionsausfälle, die sich aus der Gasknappheit ergeben, bei weitem noch nicht zu einem Verlust führen, sondern in einem unterschiedlichen Ausmaß die Gewinne reduzieren. Und zwar in einem Umfang von vielleicht 20 bis 40 % im Fall der Chemieindustrie, grob geschätzt, auch wenn einzelne Unternehmen stärker betroffen sein könnten. Und ohne die Annahme der Weitergabe der höheren Preise an die Kunden, was auch nicht ganz realistisch sein dürfte. Es könnte natürlich sein, dass das Gas ganz normal weiter geliefert wird: Früher hat Russland von Deutschland ca. 10 Mrd. € p.a. für die Gaslieferungen erhalten, heute sind es bei den aktuellen Terminpreisen eher 30 bis 40 Mrd. €. Für den Versuch, die Europäer unter Druck zu setzen, würde Russland also in den nächsten Jahren auf 100 Mrd. € im Fall von Deutschland verzichten, plus weitere 100 bis 200 Mrd. € von anderen EU-Staaten: Das könnte der Preis sein, den Russland einsetzt in der Hoffnung, die westlichen Sanktionen loszuwerden. Kriegsentscheidend dagegen wohl eher nicht. Zudem hätte Russland dann auch weniger Geld, um bspw. die Opfer westlicher Sanktionen zu kompensieren. Plus mögliche Schadensersatz-zahlungen, plus die technischen Schwierigkeiten, die Gasproduktion in Zukunft wiederaufzunehmen: Dies spricht nicht dafür, dass es zwingend ist, dass Russland die Lieferungen einstellt. Man wird sehen.

 

Stabilität und Sicherheit haben wieder enorme Prämien aufgebaut

Das aktuelle Geschehen am Kapitalmarkt zeigt eine Umkehr der Kursbewegung seit Jahresanfang. So sind in den letzten Wochen Rohstoffpreise, zyklische Aktien und Zinsen gefallen, die alten Lieblinge dagegen, vorneweg die Qualitätsaktien, sind gestiegen. Sicherheit geht über alles. Wir sind der Ansicht, dass es sich hier, was die Aktien angeht, um eine Bewegung gegen den Trend handelt. Die Bewertungsunterschiede haben sich erneut ausgeweitet. Diese Diskrepanzen sind auf Dauer schlicht zu groß. Beigetragen zu dieser Bewegung hat vermutlich die Erkenntnis, dass eine Rezession in den nächsten Quartalen wahrscheinlicher ist als keine Rezession. Allerdings scheinen auch die Abwicklungen einiger aggressiver spekulativer Positionen eine Rolle zu spielen. Dass zum Beispiel die Weizenpreise angesichts der erwarteten Lebensmittelknappheit in den nächsten Quartalen mittlerweile wieder unter das Niveau von vor dem Ukrainekrieg gefallen sind, ist ansonsten kaum erklärlich. Für andere Rohstoffe gilt ähnliches. Auch hier wird man sehen, welche Interpretation die richtige war. Wir sehen an erster Stelle das Glattstellen der „Inflations-Knappheits-Positionen“ und den Wechsel in die vertrauten „Qualitäts-Stabilitäts-Stellungen“ angesichts der drohenden Rezession, und zwar unabhängig von irgendwelchen Bewertungsmaßstäben.

 

Auf dem aktuellen Bewertungsniveau überwiegen mittelfristig die Chancen deutlich…

Wir dagegen bleiben aufgrund der massiven Bewertungsdiskrepanzen weiter bei der Strategie, in niedrig bewertete Unternehmen mit einem klar erkennbaren Risikoprofil zu investieren, deren Bewertung zum großen Teil auf einem tieferen Level liegt als seit vielen Jahren. Und zwar nicht nur gemessen an möglicherweise schwankenden Gewinnen, sondern an der nachhaltigen Substanz. Hier sind einige Chancen neu hinzugekommen. In dieser Situation kann man immer flexibel bleiben und, wenn sie sich ergeben, noch größere Opportunitäten nutzen, die im Lauf der Zeit entstehen können. Wir glauben nicht, dass die Auswirkungen der Zinserhöhungen auf die Lieblinge der letzten Jahre in vollem Umfang sichtbar sind, das geben die Bewertungen einfach nicht her.

 

…die man am einfachsten nutzen kann, indem man auch im Tiefpunkt investiert bleibt

Wir glauben, dass es deutlich zu spät ist, bei seinem Risikomanagement jetzt noch auf eine Risikoreduktion per se zu setzen: Das wäre etwas für die Zeit gewesen, in denen es zu Aktien keine Alternative gab. Heute sind wir offensichtlich näher am Boden als am Gipfel. Und den Versuch, den Boden genau zu treffen, und zwar mit der Erhöhung eines Investitionsgrads von 0 auf 100 %: Diese naive Vorstellung haben wir schon lange abgehakt. Und den Effekt, die Cashquote in der Nähe des Lows, wo immer es auch sein wird, von 5 auf 4 % zu senken: Den wird man mit der Lupe suchen müssen. Für mehr reicht aber die verzweifelte Suche nach dem Tiefpunkt in der Regel nicht aus. Insofern lassen wir es eben bleiben und freuen uns über die billigen Aktien in unseren Portfolios.

Ihr Martin Wirth

 

 

Bla Bla

FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 2/2022 vom 12.04.2022

Investmentperspektiven aus Sicht eines Value Investors mit einem Merksatz für Diktatoren

  • Glimpflicher Jahresauftakt für die FPM Funds dank Value-Orientierung
  • Geostrategische Überlegungen und warum China das größere Problem werden könnte
  • Inflation wahrscheinlich dauerhaft höher als von den Zinsen abgebildet
  • Rezession in den Kursen weitgehend eingepreist
  • Chancen bei Zyklikern und massiv gefallenen Wachstumsaktien

Der Jahresauftakt lief schlecht, aber nicht katastrophal

Das erste Quartal verlief nach einem guten Start zunehmend unerfreulich, bedingt natürlich durch den Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Konjunktur- und Inflationsrisiken. Nach einem Schockmoment zu Beginn des Kriegs unternahmen die Markteilnehmer den Versuch, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen.    Das ist alles andere als einfach, da sich die Dinge sowie die Einschätzungen permanent ändern, und zwar auch die Aspekte betreffend, die für die Kapitalmärkte hochgradig relevant sind. Erschwert wird die Lage zudem dadurch, dass die Weltwirtschaft auch die mit der Coronakrise verbundenen Probleme bei weitem noch nicht überwunden hat. Erstaunlich ist somit auf den ersten Blick, dass ein guter Teil der Kurseinbrüche mehr oder weniger schnell aufgeholt wurde: Die Dimension der Probleme ist eine andere als während der Bankenkrise oder der EU-Schuldenkrise. Die verhaltene Reaktion wird jedoch vor dem Hintergrund verständlich, dass einerseits viele Aktien schlicht nicht zu teuer waren und somit eine solide Risikoprämie aufwiesen, die nun ein Puffer ist. Zum anderen ist relevant, dass die alternativen Anlage-möglichkeiten, in erster Linie Liquidität und Anleihen, im Angesicht der massiv angezogenen Inflation nun auch nicht gerade besonders attraktiv wirken. Bleiben noch die in vielen Ländern eher teuren Immobilien oder Gold und Bitcoin. Gold auf einem Rekordhoch, zum Bitcoin haben wir keine Meinung (jedenfalls keine, die wir hier kundtun werden). Somit sehen Aktien am Ende relativ gesehen gar nicht so schlecht aus, trotz der verheerenden Rahmenbedingungen.

FPM Funds dank Value-Orientierung mit deutlich unterdurchschnittlichen Verlusten

Für die FPM Funds lief es trotz Verlusten deutlich besser als für die Vergleichsindizes, auf die wir uns regulierungsbedingt nun immer zu beziehen haben. Einerseits blieben wir unserer Anlagephilosophie treu, nämlich auf niedrig bewertete Titel mit einem nachvollziehbaren Geschäftsmodell zu setzen. Dazu gehören natürlich auch Titel, die aufgrund bestimmter Eigenschaften bei den meisten Anlegern verpönt sind, und zwar aus Gründen, die wir nicht für angemessen halten. An erster Stelle sind hier die Unternehmen der Rüstungsindustrie zu nennen, von denen in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass die meisten ihrer Kunden Staaten sind, in denen Menschenrechte nichts zählen. Warum wir dies anders sehen und warum wir diese Unternehmen als essentiell für unsere Art zu leben ansehen, muss man jetzt wohl nicht mehr erläutern. Und vielleicht den Hinweis geben, dass der überragende Teil der Umsätze dieser Unternehmen in Ländern erzielt wird, in denen eine Gesellschaftsordnung wie in Deutschland gegeben ist. Ähnliches gilt für Unternehmen, die essentiell sind für die Herstellung von Lebensmitteln: Warum Unternehmen, die Produkte für Oligarchenhaushalte herstellen ein besseres ESG-Ranking haben als Unternehmen, die die Ernährung von Hunderten Millionen Menschen sichern, erklärt wahrscheinlich gerne die Ratingagentur Ihres Vertrauens, die für diese Erkenntnisse eine Menge Geld kassiert.                  Wir verstehen es nicht. Wir sind nicht grundsätzlich in diesen Unternehmen investiert. Jetzt waren wir es aber, da sich die Bewertung teilweise auf lächerlichen Niveaus befand.               Die dramatischen Ereignisse sowie deren erwartete Auswirkungen in den nächsten Jahren führten bei den Aktien dieser Unternehmen zu einer signifikanten positiven Entwicklung, wodurch sich die Verluste auf Portfolioebene in Summe in Grenzen hielten. Wahrscheinlich kommt das nächste Downgrade auch demnächst: Das sind ja jetzt Kriegsgewinnler.

Gegenwind verzeichneten dagegen Unternehmen, die auf eine funktionierende Wertschöpfungskette angewiesen sind, wie auch Wachstums-unternehmen, die vor gut einem Jahr noch euphorisch gesehen wurden, jetzt aber unter enttäuschten Träumen und steigenden Zinsen zu leiden haben. Vergleichsweise stabil waren wieder einmal die Unternehmen, die ein qualitativ über-durchschnittliches Geschäftsmodell aufweisen. Dies geschah trotz ihrer eher hohen Bewertung, die bei steigenden Zinsen eigentlich leiden sollte. Insofern ist dieses Segment unter normalen Bedingungen das einzige, in dem wir eine Überbewertung sehen können. Denn was den Aktienmarkt generell angeht: Wer glaubt, wir stehen jetzt am Beginn eines Bärmarktes hat die letzten Jahre in vielen Marktsegmenten offensichtlich verpasst. Diese Sicht der Dinge beruht offensichtlich darauf, dass man in erster Linie auf die Indizes sowie die Gesamt-marktbewertung schaut. Mit Ausnahme der Aktien mit einer deutlich überdurchschnittlichen Qualität liegen viele Aktien wesentlich, teilweise meilenweit unter ihren Höchstständen der letzten Jahre. Somit wäre der Zeitpunkt heute grundsätzlich ein guter, um seine Investitionen in den Aktienmarkt zu erhöhen. Allerdings sind die Zeiten nicht normal, und daher müssen auch wir uns Gedanken darüber machen, wie wir mit der Situation umzugehen haben.

Auch als Nicht-Geostrategen sind wir gezwungen, die veränderte Lage zu bewerten

Bekanntermaßen ist die Einschätzung zukünftiger Entwicklungen immer schon schwierig gewesen, zur Zeit jedoch noch komplexer. Im Folgenden stellen wir dar, wie wir die Lage einschätzen und welche Schlüsse wir daraus für unsere Investments ziehen. Wir erheben keinen Anspruch darauf, dass wir richtig liegen, wir geben aber unser Bestes. Und: wir müssen eine Einschätzung der Geschehnisse haben. Keine Meinung zu haben wäre grob fahrlässig in diesem Umfeld. Selbst wenn wir keine geostrategischen Experten sind. Wenn man allerdings die Fähigkeiten des deutschen Geheimdienstes sowie die mancher Berater der (ehemaligen) Bundesregierung als Vergleichsmaßstab heranzieht, dann kann es jeder Amateur einmal versuchen. Wir müssen unsere Aktienauswahl (genauer: vorgelagert eine Idee einer optimalen Asset Allocation, deren Parameter die präferierten Aktiensegmente beschreiben) auf dieser Basis treffen und können nicht so tun als gäbe es die Situation nicht.

Rohstoffe knapper und teurer, aber bleiben wahrscheinlich verfügbar

Was sind also unsere Erwartungen? Es sieht so aus, als dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen wird. Russland wird zunehmend vom Westen abgegrenzt werden, solange sich das Regime nicht ändert. Worst Case: Nordkorea.     Die größte Gefahr für die westlichen Länder, aber auch für die Weltwirtschaft insgesamt ist das sinkende Angebot von Rohstoffen, für Deutschland natürlich von Gas. Die Preise aller dieser Güter sind gestiegen, was von den Europäern und den Amerikanern eher getragen werden kann als von vielen anderen Staaten. Profiteure sind rohstoffnahe Unternehmen und Unternehmen,   die eine Preissetzungsmacht in ihrer Wertschöpfungsstufe haben, was nach unserer Wahrnehmung erstaunlich viele Unternehmen sind. Hier wirkt sich die Verknappung des Angebots positiv aus. Verlierer sind die Konsumenten sowie eher konsumnahe Unternehmen, vermutlich im Bereich der Ausgaben, die sich verschieben lassen. Außerhalb der reichen Regionen dürften diese Anpassungen an die gestiegenen Preise schwerer fallen.             Ein vollständiger Wegfall vieler Rohstoffe würde jedoch überall zu Verwerfungen führen. Die Gefahr steht im Raum, wird mit jedem Tag aber etwas kleiner, da Alternativen entwickelt werden. Dadurch bleibt das Problem trotzdem bestehen. Es ist auch nicht so hoffnungslos, wie dies zunächst erschienen ist: Teilweise kann die Produktion erhöht werden, in der Landwirtschaft können andere Sorten angebaut werden, teilweise kann die Verwendung der Ernte verändert werden. Zudem ist unserer Ansicht nach die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung der Rohstofflieferungen von russischer Seite gering, weil Russland offensichtlich das Geld braucht, und zwar nicht um den Krieg zu finanzieren, sondern die Strukturen in Russland: Vom Unterdrückungsapparat bis hin zu den Renten, vermutlich auch um die Verluste der (neueren) Oligarchen zu kompensieren, die möglicherweise den Krieg nicht gewollt, ihn aber hingenommen haben, um ihre Ruhe zu haben. Wenn der Pate analog der früheren sizilianischen Erfahrungen nicht mehr liefert, dann ist er hochgradig gefährdet. Und somit wird er nicht das Gas abstellen. Bleibt natürlich das Risiko eines europäischen Embargos.

Mittelfristig könnte China das größere Problem werden

Vielleicht ist nicht Russland, sondern China auf Dauer das größere Problem: Das Land hat eine autokratische Regierung, die dem Westen zunehmend feindlich gesonnen ist, und ist wirtschaftlich um ein Vielfaches wichtiger für westliche Unternehmen als Russland. Nach der Erfahrung, dass das Ignorieren der Fakten die Probleme vergrößert anstatt sie aus der Welt zu schaffen, steht in den nächsten Jahren eine Klärung der Positionierung Chinas an.                      Der Ausgang ist offen. Die Hybris, mit der die eigene Coronapolitik als überlegen angesehen wurde im Vergleich zum Rest der Welt und insbesondere gegenüber dem Westen ist angesichts der aktuellen Lage schon bemerkenswert. Allerdings gab China dadurch ein Zeichen, wie es sich im Wettbewerb der Systeme aufgestellt sieht. Und man kann nun erkennen, wie es wirklich aussieht.

Vielleicht respektiert China – genauer: die chinesische Führung – einen härteren und direkten Auftritt eher als die Tatsache, dass zwar die meisten Länder nicht aggressiv gegen China auftreten, die „westlichen“ Lebensentwürfe sich aber überall in der Welt breitmachen und so auch die autokratischen Staaten aus Sicht ihrer Regierung unterminieren. Warum auch immer: Viele Autokraten werfen dem Westen vor, dass er verweichlicht sei, beispielsweise festgemacht an den Homosexuellenrechten, an denen sich Putin und sein Kirchenpatriarch reiben. Abgesehen von allem anderen was zum Thema Menschenrechte zu sagen wäre: Dies ist eben wie vieles andere ein fundamentales Missverständnis der Verhältnisse in der Welt. Denn Minderheitenrechte sind nicht nur alleine in freien Gesellschaften durchsetzbar. Sie werden vor allem in reichen Gesellschaften eingefordert und Realität. Wie man an der Maslow´schen Bedürfnispyramide ablesen kann, beschäftigen sich autokratische Länder mit Ebenen unterhalb der Selbstverwirklichungsstufe. Das hat nichts mit Verweichlichung, sondern ökonomischer Stärke zu tun. Und darin liegt das Problem für die Autokraten: Die gleiche ökonomische Stärke, die Meinungsvielfalt, Freiheitsrechte und beispielsweise auch Kreativität ermöglicht, ist auch die Grundlage für politische und vor allem in diesen Tagen wieder gefragte militärische Stärke. Merksatz für Diktatoren: Länder, in denen der CSD gefeiert wird, besser nicht angreifen. Ausnahmen bestätigen die Regel. Und weil das westliche Modell für die meisten Menschen attraktiver ist als das, was die Autokraten zu bieten haben, wird ihre Macht unterlaufen. Und das führt die Autokratien zu Konflikten und Kriegen, offen und versteckt, mit realen Waffen und im Cyberuniversum, in den Medien usw. Der Westen hat sich das Jahrzehnte lang angeschaut und toleriert und sich um alles Mögliche andere gekümmert. Mit dem Überfall auf die Ukraine, die aus Sicht Russlands offensichtlich in Richtung Westen verloren ging, war der Rubikon überschritten.

Nach allem was wir sehen können, ist die Größe der russischen Armee in etwa vergleichbar mit der der Wirtschaft der DDR: Aus der Distanz groß, aber gemessen an den Annahmen ein Scheinriese. Einen Atomkrieg ausgeschlossen: Dieser Krieg wird Russland ruinieren, und den Westen nicht, unabhängig vom Schicksal der Ukraine. Welche Lehren China daraus zieht ist offen. Viele Autokraten in der Welt werden damit leben müssen, dass ihr Pate in Moskau nicht mehr die bisherige Rolle spielen kann. Für die meisten Menschen eine erfreuliche Botschaft, wenn auch nicht für alle Regierungen.

Unklar, ob wir vor einem Wandel der Weltordnung stehen

Einen kann ich mir nicht verkneifen: Zum immer wieder gehörten Argument, die USA würden ja auch mit ihren Angriffskriegen gegen das Völkerrecht verstoßen. Ja, das tun sie, und zwar in den Fällen, in denen sich Autokraten hinter dem Völkerrecht verschanzen und gleichzeitig Menschenrechte in unfassbarer Weise brechen. Damit stellen die Kritiker der USA Assad, Saddam Hussein und Milosivic auf eine Stufe mit dem ukrainischen Präsidenten. Tiefer fällt es schwer zu fallen. Das Problem liegt darin, dass die UNO im Völkerrecht den Weg sieht, Angriffskriege auf Länder zu verbieten, was die Staatsführungen, die Menschenrechte brechen, zu ihrer höchstpersönlichen Verteidigung nutzen.              Dies führt dazu, dass die UNO als Organisation in ihrer Existenz gefährdet ist: Sie erleichtert es Potentaten, ihre Rechte gegen die eigene Bevölkerung zu missbrauchen. Wie das geht wurde im zweiten Irakkrieg vorgeführt: Die USA versuchten einen Fall zu konstruieren, der einen Angriffskrieg gegen den Irak rechtfertigen würde. Wie alle wissen: aus völkerrechtlicher Sicht zu Unrecht. Allerdings scheinen die Kritiker der USA hinzunehmen, dass im Irak gefoltert wurde, Kurden und Schiiten verfolgt wurden, Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt wurden, Menschenrechte nach allen Regeln der Potentatenkunst gebrochen wurden, ohne dass ein Kritiker eine bessere Lösung aufzeigen konnte, mit Ausnahme des immer gut klingenden und meistens wirkungslosen Verhandelns. Der Geist, in dem die UNO geschaffen wurde, ist durch die Verletzter der Menschenrechte schon lange zerstört. Somit stellt sich auch hier die Frage, wie die Welt in dieser Hinsicht in ein paar Jahren aussehen wird. Ob eine Organisation erhaltenswert ist, die in sieben Jahren fünf Mal so viele gegen Israel gerichtete Resolutionen ausspricht wie gegen den Rest der Welt zusammen? Unter anderem als einzigem Land der Welt, in dem nach Ansicht der UNO Frauenrechte verletzt werden. Diese Frage stellt sich in der Tat. Insofern ist es nicht weit hergeholt, sich eine andere Weltordnung vorzustellen.

Inflation wahrscheinlich dauerhaft höher als von den Zinsen abgebildet

Zurück zu den unmittelbareren wirtschaftlichen Aspekten: Auch ohne den Krieg in der Ukraine war die Inflationsrate bereits auf ein Niveau gestiegen wie lange nicht. Dies hatte mehrere Ursachen:    Die Fiskalpolitik, insbesondere in den USA, war sehr expansiv, und zwar über das erforderliche Maß zum Ausgleich der Coronafolgen hinausgehend. Dies wurde, vor allem in der EU, durch eine weiter extrem expansive Geldpolitik begleitet. Beides kann man mit den üblichen Maßnahmen abstellen. Es kamen aber zwei Probleme von der Angebotsseite hinzu:                    Die Coronakrise mit ihren Auswirkungen auf die Produktionsmengen sowie die Lieferketten und gleichzeitig eine seit Jahren unterinvestierende Rohstoffindustrie, woran natürlich wiederum falsch verstandene und auf kurzfristige Effekte ausgerichtete ESG-Maßnahmen ihren Anteil hatten. Und jetzt kam noch der Ukrainekrieg hinzu. Es dürfte für die Notenbanken extrem schwer sein, eine geeignete Maßnahme zu finden, die der Höhe der Inflation angemessen wäre.                       Das Überschießen über alle Erwartungen kam weitgehend von der Angebotsseite. Insofern sollte man sich darauf einstellen, dass die Inflationsrate auch durch eine Zerstörung von Nachfrage gebremst werden kann. Zudem ist rechnerisch auch irgendwann eine Annualisierung der Preisschübe zu erwarten. Die große Frage ist dann aber, ob es bis dahin zu einer Lohn-Preis-Spirale gekommen sein wird. Ganz vermeiden lassen wird sich dies nicht. Insofern ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Zahlen wieder sinken werden, vermutlich jedoch auf einem höheren Niveau als in der Vergangenheit bleiben werden. Verstärkt wird diese Entwicklung dadurch, dass besonders positive Rahmenbedingungen der letzten Jahre wegfallen werden: Die Globalisierung wird selbst im besten Fall nicht im dem Tempo weitergehen, weil sie schon weit fortgeschritten war. Ganz im Gegenteil könnten verschiedene Wirtschaftsbereiche wieder regionalisiert werden. Hinzu kommt ein steigender Kapitalbedarf für den Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität, ein substantieller Bedarf für die Landesverteidigung und vielleicht später für den Wiederaufbau der Ukraine. Dies kann eigentlich nur zu höheren Inflationsraten führen. Wohin genau ist unbekannt, aber das Niveau dürfte deutlich höher liegen als das, was immer noch in den Zinsmärkten unterstellt wird.

Rezession ist möglich, aber in den Kursen weitgehend abgebildet

In Summe bedeutet dies: Die Konjunktur wird leiden, vielleicht bis hin zu einer Rezession.            Die Anpassung der Märkte an die neuen Gegebenheiten – sofern kein Gas-Embargo in Kraft tritt – ist fortgeschritten, aber noch nicht beendet. Der Kapitalbedarf der Volkswirtschaften ist immens: Energiewende beschleunigt, neue Beschaffungsstrukturen (alleine Intel wird anscheinend für den Aufbau seiner Halbleiter-fabriken in Europa staatliche Unterstützung in zweistelliger Milliardenhöhe erhalten), Aufarbeitung der Coronakrise, Unterstützung und Ausbau der militärischen Fähigkeiten, Unterstützung der Ukraine, und sollte eines Tages die Ukraine in die EU aufgenommen werden wird dies Kapital in einer anderen Dimension erfordern. Somit ist es vollkommen unklar, wie Zinsen nachhaltig auf dem heutigen Level bleiben können, ohne dass Investoren in diesen Märkten herbe reale Verluste erleiden werden.                     Das Festhalten an „sicheren“ Anleihen und Liquidität ist wahrscheinlich auch nur eine Reaktion darauf, dass im Augenblick noch unklar ist, wie die Dinge sich weiterentwickeln werden. Better safe than sorry, und da verzichtet man eben real auf ein paar Prozent seines Vermögens, jährlich wohlgemerkt.

Chancen wieder bei Zyklikern und massiv gefallenen Wachstumsaktien

Wir hingegen sehen eher die Chancen: Verschiedene, eher zyklische Aktien sind auf einem Rezessionsniveau bewertet, wenn nicht tiefer. Sie preisen somit weitere Verwerfungen bereits zumindest teilweise ein, selbst wenn die Unternehmen höchstens übergangsweise von Problemen in der Lieferkette betroffen sein sollten. Daneben haben verschiedene Wachstumsunternehmen einen massiven Kursverfall hinnehmen müssen und sind dementsprechend ebenfalls niedrig bewertet. Unternehmen, die von tiefen Zinsen profitieren, z.B. durch ihre überdurchschnittliche Verschuldung, meiden wir eher, genauso wie Unternehmen, denen eine überdurchschnittliche Qualität zugeschrieben wird. In Summe sind Aktien wieder billig. Die Risiken, die sich aus einer überdurchschnittlichen Abhängigkeit von China ergeben, kann man entweder meiden oder in Form einer niedrigen Bewertung hinnehmen.                   Und letzten Endes sollte man beachten, woher die Inflation kommt, die man ja als Gefahr ansieht: Durch Preiserhöhungen, die in erster Linie von Unternehmen durchgesetzt werden und von denen die Aktionäre im Gegensatz zu den Anleihebesitzern profitieren werden. Wenn es läuft wie in den 70´er Jahren, der letzten Zeit einer hohen Inflation, werden niedrig bewertete Normalaktien über die nächsten Jahre solide Gewinner sein. Die Verlierer damals waren die Nifty Fifty. Deren Nachfolgern sollte man in unseren Augen in den nächsten Jahren aus dem Weg gehen.

Ihr Martin Wirth

Martin Wirth

Gründer und Vorstand

Erfahrung in deutschen Aktien: seit 1990

Aufgaben: Fondsmanagement, Aktienanalyse und Unternehmensführung

Fonds: Publikumsfonds FPM Funds Stockpicker Germany All Cap
Spezialmandat für ein Single-Family-Office

Auszeichnungen: zahlreiche für die von ihm verwalteten Fonds, mehrfach auch für seine persönlichen Leistungen – so zum Beispiel von der Sauren Fonds-Research AG und Citywire

Stationen:

  • Portfoliomanager der Credit Suisse (Deutschland) AG
  • Aktienanalyst bei der Bank Julius Bär (Deutschland) AG
  • Aktienanalyst der Credit Suisse First Boston

Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, Abschluss als Diplom-Kaufmann 

Raik Hoffmann, CFA

Vorstand

Erfahrung in deutschen Aktien: seit 1997

Aufgaben: Fondsmanagement, Aktienanalyse und Unternehmensführung

Fonds: Publikumsfonds FPM Funds Stockpicker Germany Small/Mid-Cap, FPM Funds Ladon

Auszeichnungen: mehrere für die von ihm verwalteten Fonds und auch für seine persönlichen Leistungen – so zum Beispiel von Citywire

Stationen:

  • 15 Jahre DWS Investment GmbH – im Management des DWS German Small/Mid Cap, als Mitglied im europäischen Small/Mid Cap-Team der DWS und des DWS Makro-Ökonomie-Teams und verantwortlich für Risiko-Szenarien

Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Leipzig, Abschluss als Diplom-Kaufmann