Zum Hauptinhalt springen
FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 4/2024 vom 10.10.2024

 

Volkswirtschaft nahe am Tiefpunkt – Large Caps Indices auf Rekordhoch – der breite Markt ist davon noch meilenweit entfernt

 

  • Large Caps sind die Gewinner am deutschen Aktienmarkt
  • Nach Jahren des Schulterzuckens: Gegenwind für den Bürokratieaufbau hat zugenommen
  • Inflation und Zinsen auf dem Rückzug
  • Haushaltspolitik drückt Wachstumsraten und Sentiment, ist aber ein künftiger Rückenwind
  • Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen stehen Unternehmen erstaunlich gut da
  • Gute Ausgangslage: Unternehmen trotz gesteigerter Qualitäten mit tiefer Bewertung

 

Im dritten Quartal 2024 verzeichneten die internationalen Aktienmärkte entgegen der jedes Jahr propagierten Erwartung („Sell in May…“) weitere Kursgewinne. Dabei gab es, sehr vorsichtig formuliert, die Andeutung eines möglichen Favoritenwechsels innerhalb der großkapitalisierten Titel: Die Dauergewinner der letzten Jahre waren nicht mehr die Outperformer, eingebremst durch die hohen Bewertungen und die nicht einfacher werdenden Rahmenbedingungen. Dagegen verzeichneten sinnvoll bis niedrig bewertete Large Caps teilweise ordentliche Gewinne. Kleinere und mittlere Titel wurden dagegen in Summe eher gemieden, unabhängig von der Bewertung. Wie aber auch in den Vorquartalen mussten vormals aus Qualitätsgründen gekaufte Aktien bei Nichteinhalten der Erwartungen teilweise erhebliche Verluste verzeichnen. Insofern sollte man sich klar darüber sein, dass vor allem aufgrund der Qualitätseinschätzung hoch bewertete Aktien substanzielle Risiken bergen können: Die Liebe kann bei Enttäuschungen sehr schnell erkalten, und dann werden Aktienkurse und die Einschätzung der Managementqualitäten schnell nach unten korrigiert. Sich selbst das Eingeständnis zu machen, dass man sich mit seinen Einschätzungen auf dünnem Eis bewegt hat, kommt dagegen eher selten vor; zumindest kann man beim Lesen der verschiedenen Kommentare diesen Eindruck gewinnen.

Large Caps sind die Gewinner am deutschen Aktienmarkt

Im Ergebnis verzeichneten auf Indexebene die Large Caps am deutschen Aktienmarkt deutliche Gewinne, während der breite Markt in Summe wenig verändert war. Dies hat zur Folge, dass die bereits zuvor bestehenden Bewertungsdiskrepanzen zugenommen haben. Eine Begründung ist top-down natürlich auch schnell gefunden, beispielsweise die überdurchschnittliche Zyklizität kleinerer Unternehmen. Hier lassen sich zur Genüge Beispiele für stabile Unternehmen finden, die dennoch deutliche Kursverluste verzeichnet haben. Am Ende hat es eben meistens mehr mit Bewertung als mit einer grundsätzlichen Änderung der Fundamentaldaten zu tun. Vor mittlerweile fünf bis zehn Jahren haben die deutschen und europäischen kleineren und mittleren Aktien ihren relativen Höchststand zu Large Caps verzeichnet. Damals war eine oft genannte Begründung, dass dies etwas mit der höheren Flexibilität dieser Unternehmen angesichts globaler Chancen zu tun haben könnte, während große Unternehmen durch Bürokratie und Regulierung dauerhaft gebremst würden. Tempi passati.

Am Ende gilt folgendes:

  1. Kurse machen Nachrichten: Für jede Entwicklung gibt es eine passende Geschichte.
  2. Es gibt nur zwei Arten von Unternehmen: Unternehmen, die Probleme haben, und Unternehmen, die Probleme haben werden.

Was den zweiten Aspekt angeht: Angesichts der zurzeit schwierigen Lage hat sich in unserem Universum die Gruppe von Unternehmen, die aktuell mehr oder weniger große Probleme haben, aus Bewertungssicht erfreulicherweise deutlich erweitert, so dass es eine Fülle attraktiver Investments gibt, sollte sich die Lage, vor allem in Deutschland, wieder normalisieren. Auch wenn die lautesten Kommentare dies für unwahrscheinlich halten: Hierfür spricht auf Sicht von wenigen Quartalen einiges.

Aktuelle Lage ist schwierig, die Ursachen dafür sind aber oft nur temporär

Im Einzelnen: Ein großer Teil der aktuellen wirtschaftlichen Schwäche ist die Rückseite der beiden Krisen Pandemie und Krieg in der Ukraine: Die Vorratsläger, die aus Sicherheitsgründen angelegt wurden, werden reduziert. Dass geht schon seit Quartalen so, ist aber in einer wachsenden Zahl von Unternehmen mittlerweile abgeschlossen. Dies hat auch Auswirkungen auf die Preise, die sich vor allem im Industriebereich von stark steigend auf deutlich fallend gedreht haben. Das hat auch seine positiven Seiten: So bedeutet der Rückgang der Energiepreise in Europa bspw. für die BASF, dass die meisten Anlagen auf dem aktuellen Niveau wieder wettbewerbsfähig sind. Das bedeutet nicht, dass die Lage erfreulich ist, der vor einem Jahr noch propagierte Untergang dürfte aber zumindest verschoben sein. Immerhin hat die BASF die Lage genutzt, um ihre Strukturen zu verbessern, etwas, was in den guten Zeiten aus bekannten Gründen nicht möglich ist. Analog wurden Investitionsgüter oder Autos in Zeiten der Knappheit mit sehr hohen Margen verkauft, dann die Produktion ausgeweitet, die Nachfrage bedient, und jetzt zeigt sich eine Schwäche. Im Bau wurden mit Tiefzinsen finanzierte Projekte beendet und wenig kommt nach. Soweit alles ein normaler Zyklus, nur schneller und heftiger als üblich, und der sich zurzeit in der Talsohle befindet.

Nach Jahren des Schulterzuckens: Gegenwind für den Bürokratieaufbau hat zugenommen

Daneben gibt es auch die bekannten strukturellen Problemthemen, die die Staaten in guten Zeiten mit guter Absicht und teilweise bösen Unterstellungen kreiert haben und die damals noch akzeptiert wurden, nun aber angesichts des Drucks von allen Seiten eben nicht mehr: Bürokratie, Dokumentationspflichten für alle Nichtigkeiten, Auflagen, die sich als illusorisch herausstellen und für deren Umsetzung die Staaten nicht die Voraussetzungen schaffen sind nur einzelne Beispiele. Als in dieser Hinsicht führend erweist sich der rot-grüne Teil der deutschen Regierung und dient damit immerhin als Beispiel, wie man es besser nicht machen sollte. Etwas später als die oben genannten zyklischen Aspekte könnten sich auch hier Verbesserungen ergeben: Die Einsicht wächst, dass gut gemeint und gut gemacht nicht deckungsgleich sein müssen. Mit der gegenwärtigen Stimmung ist es jedenfalls unwahrscheinlicher geworden, dass heimlich, still und leise weitere Belastungen aufgebaut werden. Und wenn man die Trends in der Bankenregulierung als Beispiel nehmen will: Auch hier hat es ausgereicht, dass die Bürokratie nicht mehr verschärft wurde, um einem zuvor regulierungstechnisch „ausgebombten“ Sektor im Zusammenhang mit einer zyklischen Verbesserung, nämlich dem Anstieg der Zinsen, eine signifikante Outperformance zu ermöglichen.

Inflation und Zinsen auf dem Rückzug

Mindestens genauso wichtig ist das, was auf der Inflations- und damit der Zinsseite passiert: Die Inflation hat längst ihren Höhepunkt überschritten und ist vor allem in Europa eindeutig auf dem Rückzug. Der Lohndruck lässt nach, und vermutlich werden Unternehmen die Chance nicht ungenutzt lassen, ihre Strukturen zu verbessern, siehe diverse Chemieunternehmen wie die BASF. Der mit dem größten Wirbel begleitete Fall ist bekanntermaßen Volkswagen. Mit den angekündigten Werksschließungen würde etwas umgesetzt, was man auch vor ein paar Jahren hätte machen können: Der Autoabsatz in Europa bewegt sich seit Jahren mehr oder weniger auf dem aktuellen Niveau, aber bei einem Vorsteuerergebnis von mehr als € 20 Mrd. fällt es nicht leicht, einen Personalabbau als überlebensnotwendig darzustellen. Es stellt sich über einzelne Unternehmen hinaus auch die Frage, ob angesichts der demographischen Entwicklung in den letzten Jahren nicht generell Mitarbeiter oft in Unternehmen gehalten wurden, die für den Erfolg nicht entscheidend waren. Das wird man sehen. Jedenfalls müssten angesichts des immer wieder beklagten Fachkräftemangels die Chancen für freigestellte Mitarbeiter blendend sein – rechnerisch – bei gleichzeitig gesteigerter Effizienz der ehemaligen Arbeitgeber, die nun offensichtlich an Bedeutung gewonnen hat.

Die ersten Zinsschritte wurden eingeleitet, aber aus unserer Sicht sind die Notenbanken wieder einmal hinter der Kurve. Das Zinsniveau ist weiter restriktiv, die fallende Zinsstrukturkurve zeigt dies genauso an wie die wirtschaftlichen Aktivitäten, insbesondere in den zinsabhängigen Branchen wie der Bauwirtschaft. Was steigende Zinsen bewirken können: Das kann man zurzeit bewundern. Die Wirkung fallender Zinsen wird dann in zwei bis drei Jahren sichtbar, wenn sich der neue Zyklus, startend vom heutigen Niveau, vermutlich längst in den Aktienkursen – nicht nur bei den Großunternehmen – niedergeschlagen hat.

Deutschland sieht aufgrund solider Haushaltspolitik kurzfristig schlechter aus als es ist

Und zuletzt: Deutschland hat im Vergleich zu anderen Staaten einen Joker, der noch nicht gezogen wurde, nämlich die geringe Staatsverschuldung. Würde das Land wie die USA oder einzelne europäische Staaten jährlich ein Haushaltsdefizit von 6 % abliefern, wäre die externe und interne Sicht auf die deutsche Wirtschaft vermutlich eine andere. Im Gegensatz zu anderen Staaten hat Deutschland erfreulicherweise eine Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen, auch wenn diese zugegebenermaßen unter den aktuellen Rahmenbedingungen anstrengend ist. Der Entzug der finanziellen Freizügigkeiten, die sich die Politik in den Jahren nach dem Ausbruch der Pandemie gegönnt hatte, fällt schwer, vor allem wenn man den Ausbau des Sozialstaats unter keinen Bedingungen verwässern will und gleichzeitig mit einer substanziellen Flüchtlingskrise zu tun hat. Aber die nächsten Jahrzehnte werden aus demographischer Sicht nicht einfacher, da kann man schon einmal üben. Die gute Nachricht: Schlimmer sollte es eher nicht werden.

Und nur um die Dimensionen klarzumachen, um die es geht: Hätte Deutschland eine Neuverschuldung wie die USA oder Frankreich, könnte das Land € 200 Mrd. zusätzliche Schulden jährlich machen. Also ein Sondervermögen Bundeswehr alle sechs Monate, oder die Verdreifachung der Rentenzuschüsse aus dem Bundeshaushalt. Oder mehr als eine Verdoppelung der Investitionen aus dem Bundeshaushalt, oder eine Versechsfachung der Investitionen der Bahn. Jährlich, wohlgemerkt.

Haushaltspolitik drückt Wachstumsraten und Sentiment, ist aber ein künftiger Rückenwind

Die tiefe Bewertung großer Bereiche des deutschen Aktienmarktes hat verschiedene Ursachen. Eine der wichtigsten ist aus unserer Sicht das bescheidene Sentiment, das einen wesentlichen Grund in den niedrigen Wachstumsraten hat, die wiederum neben politischen Fehlern auch auf die nun geforderte Haushaltsdisziplin zurückzuführen sind. Dieses Sentiment betrifft auch Unternehmen, deren Geschäft nur zu einem sehr überschaubaren Teil von der deutschen Konjunktur abhängt. Deutschland hat den Entzug der Defizitorgien der letzten Jahre hinter sich gebracht und die Auswirkungen verstärkt durch diverse politische Kapriolen. Insofern ist der Raum für eine weitere relative Verschlechterung deutlich gesunken. Sollten sich die Wachstumsraten dagegen in Richtung Durchschnitt bewegen, bedeutet dies aus relativer Sicht eine erhebliche Chance. Viele Investoren haben angeblich Deutschland aufgegeben. Der Wert solider Staatsfinanzen ist hier in keiner Form eingepreist. Das wird sich früher oder später auflösen: Entweder müssen andere Staaten sparen, oder Deutschland wird die Schuldenbremse lockern. Weitere Transfers in der EU in den Dimensionen der angeblichen Wiederaufbauhilfen nach der Pandemie sind heute offensichtlich ausgeschlossen und werden in den nächsten Jahrzehnten immer an die Wohlfühljahre der Merkel-Ära erinnern.

Und nur zur Sicherheit: Wir sind ganz sicher nicht dafür, die Schuldenbremse zu streichen. Denn wir sind auch nicht der Ansicht, dass der Staat über eine überragende Weisheit beim Ausgeben von Geld im Vergleich zum einzelnen Bürger verfügt, ganz im Gegenteil. Es geht nur darum, dass der von Deutschland gewählte Weg anfangs der schwierigere ist, aber am Ende zu besseren Ergebnissen führen wird. Und bei einer Staatsquote von mehr als 50 % - laut Helmut Kohl fängt da der Sozialismus an – ist von einem „Kaputtsparen“ zu reden reichlich absurd. Es geht nur um die Einschätzung der relativen aktuellen Lage, und die ist aus unserer Sicht zu bereinigen um die erheblichen Unterschiede in der Haushaltspolitik.

Jetzt stellt sich vielleicht der eine oder andere Leser die Frage, ob wir auf einmal den Makroanalysten geben wollen. Nein, dies ganz sicher nicht. Aber in einem Umfeld, das ein ganzes Stück weit entfernt ist vom üblichen „Nicht zu warm und nicht zu kalt“ muss man zur Einschätzung der Unternehmen die Rahmenbedingungen berücksichtigen und sich überlegen, wer wie von den aktuellen Rahmenbedingungen betroffen ist und was eine Änderung Derselbigen für das einzelne Unternehmen bedeuten kann. Und zwar hinsichtlich des eigentlichen Geschäftes wie auch der Bewertung dieses Geschäftes. Dazu bleibt es in erster Linie nötig, das Unternehmen und seine Märkte möglichst gut zu verstehen. Dann kann man auch erkennen, welche Bedeutung die extremen Rahmenbedingungen auf die Profitabilität, vor allem aber auch für die Bewertung von Unternehmen haben kann.

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen stehen Unternehmen erstaunlich gut da

Denn die letzten fünf Jahre waren geprägt durch – nach den Standards der letzten 30 Jahre – chaotische Rahmenbedingungen. Die Pandemie, der Überfall auf die Ukraine, Rohstoffknappheiten, stark schwankende Inflationszahlen, über die meisten Erwartungen hinaus steigende Zinsen, rekordhohe staatliche Defizite zur teilweisen Kompensation der Probleme, die nun je nach Land wieder in ein Normalmaß zurückgeführt werden, und auf der ganz großen politischen Ebene das Zerfallen der Welt in zwei große politische Blöcke: Es ist erstaunlich, zumindest aus unserer Sicht, wie resilient sich viele Unternehmen erwiesen haben. Wenn also Unternehmen unter diesen Rahmenbedingungen (und nicht allein bspw. als Profiteur zeitweiliger Knappheiten) solide Gewinne erwirtschaften können, dann scheint da mehr stabile Substanz gegeben zu sein als dies oft wahrgenommen wird.

Gute Ausgangslage: Unternehmen trotz gesteigerter Qualitäten mit tiefer Bewertung

Es gab einmal Zeiten, da sind deutsche Großunternehmen bereits bei stagnierenden statt leicht wachsenden Umsätzen in die Verlustzone gerutscht. Davon sind wir in der Breite weit entfernt. Offensichtlich haben sich Flexibilität, Preisdisziplin, Industrie- und Marktstrukturen, das Risikomanagement, vielleicht auch Managementqualität und Konsequenz beim Umsetzen erforderlicher Maßnahmen über die Jahre verbessert. Jedenfalls passt dies alles nicht zu den aktuellen rekordniedrigen Bewertungen auf Basis der Substanz vieler Unternehmen. Insofern ist das ein guter Startpunkt für die vor uns liegende Zeit, in der sich der augenblickliche Gegenwind zu drehen beginnt. Und wo trotz Rekorden im Index die Aktien vieler solider Unternehmen noch meilenweit von ihren Höchstständen entfernt sind.

In a nutshell: Konjunktur unten, Zinsen fallen, Widerstand gegen weiteren Bürokratieaufbau, veränderte Prioritäten der Bundesregierung, komparativer Wettbewerbsvorteil Deutschlands dank solider Staatsfinanzen kombiniert mit in der Breite tiefer Bewertung deutscher Aktien sind üblicherweise Voraussetzung einer mehr als soliden Aktienkursperformance in den nächsten Jahren.

Ihr Martin Wirth

 

Ältere Kommentare

FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 3/2024 vom 10.07.2024

 

Der Hype in wenigen Aktien sorgt für tiefe Bewertungen in der Breite, und schlechte Politik sorgt für gute Aktienmarktperspektiven

 

  • Das erste Halbjahr: KI sorgt für Euphorie – aber nicht in der Breite
  • Politik zeigt Wirkung – schlechte Entscheidungen bringen schlechte Wahlergebnisse
  • Erwartungen sind niedrig, was das Enttäuschungspotential deutlich reduziert
  • Wenn Qualitätsaktien zu Value-Titeln werden: Eine schmerzhafte Metamorphose
  • Private Equity trifft auf börsennotierte Unternehmen: Dramatische Unterbewertung wird sichtbar
  • Value-Investing: Im Idealfall Abwärtsspirale vermeiden, in Aufwärtsspirale investieren

 

Das erste Halbjahr: KI sorgt für Euphorie – aber nicht in der Breite

Das erste Halbjahr 2024 verlief an den Aktienmärkten mit dem Blick auf die Indizes weitgehend positiv, in Hinsicht auf die Marktbreite jedoch eher durchwachsen bis unerfreulich. Die Rahmenbedingungen sind nicht einfach, werden aber auch nicht schlechter: Die Inflation sinkt, was perspektivisch auch zu sinkenden Zinsen führen sollte, wenn auch nicht in dem Umfang, der bei vielen Investoren erwartet, wenn nicht herbeigesehnt wird. Die Konjunktur in Europa und vor allem in Deutschland scheint ihren Boden erreicht zu haben. In den USA, wo die Wirtschaft seit längerem von einem massiven staatlichen Schuldenanstieg profitiert hat, zeigen sich leichte Abschwächungstendenzen, eine Rezession wird aber nicht befürchtet. In China und den meisten anderen Staaten zeigt sich ein gewisses Wachstum, wenn auch tiefer als dies in den letzten Jahren üblich war. Insofern bewegt sich also alles in verhaltenen Bahnen.

Alles überragend an den Aktienmärkten war das Thema „Künstliche Intelligenz“. Dazu ist von allen fast alles gesagt, insofern sparen wir uns an dieser Stelle weitere Ausführungen. Außer der, dass dies in unserer Interpretation erhebliche Auswirkungen auf die Aktienmärkte hatte: Hier mussten viele Investoren einfach vertreten sein. Die Zahl der Unternehmen, die das Thema bespielen, ist überschaubar, somit konnte dies nur über die Aufblähung der Market Cap erfolgen. Gleichzeitig mussten diese Investitionen irgendwoher finanziert werden, was durch den Verkauf von Positionen im breiten Markt erfolgte, losgelöst von den jeweiligen Bewertungen. Weiterhin wurden ehemalige Lieblinge in anderen Branchen bei Zielverfehlungen massiv verkauft: Hier konnte man in vielen Fällen in den vergangenen zwei Jahren Kurshalbierungen und Schlimmeres erfahren. So zeigte sich erneut, dass der Blick auf die Bewertung helfen kann, Verluste zumindest einzugrenzen, wenn an den Märkten die Favoriten wechseln.

Politik zeigt Wirkung – schlechte Entscheidungen bringen schlechte Wahlergebnisse

Diesmal etwas zu den diversen Wahlen im Jahr 2024, insbesondere der zum EU-Parlament und in Frankreich: Dass den etablierten Parteien die Wahlergebnisse nicht gefallen, ist offensichtlich. Was an den neuen Wettbewerbern radikal ist, soll hier nicht bewertet werden. Erstaunlich ist aber, dass die traditionellen Parteien nicht auf die Idee kommen, dass sie vielleicht Fehler gemacht haben könnten, die ihre Stammwähler nicht mehr akzeptiert haben. Es liegt immer nur an den schwierigen Rahmenbedingungen oder dem fehlenden Verständnis für die eigentlich geniale Politik. Dass die Politik in den letzten 25 Jahren zu den schwierigen Rahmenbedingungen beigetragen haben könnte: Das wird nicht in Erwägung gezogen. In Deutschland kann man das von Regierungsseite noch der CDU in die Schuhe schieben, nachdem die SPD im letzten Vierteljahrhundert nur vier Jahre nicht in der Bundesregierung vertreten war. Vielleicht hat die SPD dies vergessen, ihre ehemaligen Wähler offensichtlich nicht.

Man muss sich einmal vorstellen, dass ein Unternehmen die Kunden, die zum Wettbewerb wechseln, vielleicht aufgrund zu hoher Preise oder schlechter Services, als unfähig bezeichnet, die Produkte des Hauses richtig zu verstehen, dass sie sich diese offensichtlich nicht leisten könnten und viele Wechsler offensichtlich in prekären Lebenssituationen gefangen sind. Und die Medien als Beleg dann auch noch Beispiele dafür finden, die dies widerspiegeln. Das wäre vollkommen absurd. Wenn man seine Kunden (hier: Wähler) verliert, dann hinterfragt man sein eigenes Produktportfolio (hier: die Politik). Und stellt dann wahrscheinlich fest, dass Cannabis-Legalisierung oder die Möglichkeit, jährlich sein Geschlecht zu ändern, vielleicht reizvolle Aspekte sind. Aber selbst dann, wenn eine klare Mehrheit diesen Möglichkeiten nicht ablehnend gegenübersteht, bedeutet das noch lange nicht, dass es eine Zufriedenheit mit der Regierungspolitik allgemein gibt. Es gibt genug und allseits bekannte Themen, die die meisten Wähler eher betreffen als das, was im Fokus der Politik zu stehen scheint.  

Ebenfalls überraschend für Politiker und ihre Wähler scheint die Erkenntnis zu sein, dass politische Entscheidungen Auswirkungen haben, mit denen die Menschen doch tatsächlich zurechtkommen müssen. Und es ist schwierig etwas zu finden, bei dem die Politik irgendetwas getan hat, was ihren Wählern das Leben erleichtert hat. Wenn, dann waren es nur auf den ersten Blick sinnvolle Maßnahmen, deren Folgen später zu tragen waren. Fängt man einmal bei der Knappheit der Mietwohnungen an: Wer soll sich unter diesen Bedingungen antun, irgendetwas neu zu bauen, um es an Dritte zu vermieten? Höhere Baukosten aufgrund zusätzlicher Auflagen, entscheidungsschwache Bauämter, höhere Zinsen dank gestiegener Inflation, unsicherer gewordene Erträge dank einseitigem Ausbau des Mieterschutzes. Dass Produktionskosten auf den Verbraucher umgelegt werden, ist auch eine unangenehme Erfahrung, an die niemand denkt, wenn Preise für Energie erhöht werden, Steuern und CO2-Abgaben auf Energie eingeführt werden, wenn es immer mehr Auflagen für Produzenten gibt, usw.. Die sieben Milliarden Euro LKW-Maut zahlen nicht die LKW-Fahrer, der Tankwart zahlt ja auch nicht die Mineralölsteuer. Bahntickets verschleudern, auch an Menschen, die sich einen fairen Preis locker leisten können und sich dann wundern, dass der Bahn und der öffentlichen Hand das Geld fehlt. Inflation war unter Politikern jahrelang erstrebenswert, bis es dann so weit war und man feststellte, dass irgendjemand den Preis dafür zahlen musste; unglücklicherweise meistens diejenigen, die man besonders schützen wollte. Und nun soll eine erhöhte Neuverschuldung die Rettung sein? Wie die in Zukunft unter demographisch schwierigeren Rahmenbedingungen getilgt werden soll ist vollkommen unklar, aber wahrscheinlich auch nicht Teil des Plans. Das Problem ist auch hier: Irgendjemand zahlt die Zeche, und bei den Zinsen waren es in Realrechnung in den letzten 15 Jahren die tapferen Sparer.

In Summe ist es so: Steter Tropfen höhlt den Stein, und davon gab es seit Abschluss der Lissabon-Strategie vor einem Vierteljahrhundert eine ganze Menge. Damals war es das Ziel, die EU zur wachstumsstärksten Region der Welt zu entwickeln. Das Ergebnis ist ein Bürokratiemonster mit einer permanenten Underperformance gegen den Rest der Welt, was das Wachstum angeht:

Der Alltag der Bürger ist bis ins Detail geregelt, bis hin zur Befestigung von Flaschendeckeln an Plastikflaschen (ist eigentlich bei Bierflaschen auch etwas geplant?). Trotz Arbeitskräftemangel werden (in Deutschland) zweistellige Milliardenbeträge als Sozialtransfers gezahlt, deren Empfänger sich dann oft besserstellen, als wenn sie arbeiten würden – und dies dann eben auch bleiben lassen. Es herrscht eine Verteidigungsfähigkeit, die nicht ansatzweise mit den Ansprüchen und dem ausgegebenen Geld korreliert: 60 Milliarden Euro sind vielleicht nicht 2 % des BIP, aber eben eine Menge Geld: Wo landet das eigentlich? Seit Jahren wird keine vernünftige Zuwanderungspolitik erreicht, sondern es findet de facto Tolerierung bis in Teilen Förderung illegaler Migration statt. Die öffentliche Verwaltung, die angesichts immer mehr Vorschriften immer komplizierter wird, hat als Motto nicht etwa „Wie können wir Ihnen helfen?“, sondern „So einfach geht das nicht.“ und im Zweifel „Wer nichts macht, macht keine Fehler“. Dies alles wird garniert mit rekordhohen Krankenständen. Staatsquoten betragen mehr als 50 %, bei denen laut dem ehemaligen Kanzler Kohl der Sozialismus beginnt. Die EU – abstrus angesichts des wirtschaftlichen Wohlstands – hat Angst davor, von China und den USA untergebuttert zu werden und ist sich dabei seiner eigenen Stärke nicht ansatzweise bewusst. Und so weiter und so fort, Energiepreise, Infrastruktur, Bildung, you name it.

All das kostet Wachstum, und auch wenn es vielen Politikern nicht passt: Das lässt sich nicht vermeiden, wenn Menschen, anstatt produktiv und effizient zu arbeiten, Dinge tun müssen, die keinen Wohlstand bringen. Wenn man Anreize schafft, Arbeit und Investitionen zu verhindern, dann muss man sich nicht wundern, wenn diese Anreize Wirkungen zeigen und diese sich aufsummieren.

Erwartungen sind niedrig, was das Enttäuschungspotential deutlich reduziert

Das einzig Gute daran ist, dass die Probleme offensichtlich sind und damit eingepreist sein sollten. Ob die Angst vor dem Machtverlust der Parteien der Mitte größer ist als die Begeisterung für das Verfolgen spezieller Interessen für spezielle gesellschaftliche Gruppen, wird sich zeigen. Da die europäische Bevölkerung es im Grunde lieber gemächlich als revolutionär hat (bis auf ein paar lautstarke „Aktivisten“, in der Regel aus dem linken Spektrum, sowie eifrig darüber berichtende Medien) sollte es eigentlich keinen überragenden Intellekt erfordern, die Politik wieder an die Mehrheitsinteressen heranzuführen. In Skandinavien ist das den Sozialdemokraten offensichtlich gelungen, ablesbar an den Wahlergebnissen. Und eine gewisse Lernfähigkeit kann man auch in anderen Staaten unterstellen, ohne damit euphorisch zu werden.

Wie auch immer: Die Erwartungen zu unterbieten wird für die Politik in den nächsten Jahren schwer sein. Gleichzeitig werden auch Parteien vom politischen Rand, falls sie gewählt werden, ihre Präferenzen den Realitäten unterordnen müssen. Die augenblickliche Hysterie dient in unseren Augen allein dem Zweck, die eigenen Wahlchancen zu verbessern, als dass tatsächlich der Untergang der EU befürchtet wird: Wie gesagt, der Europäer hat es gerne gemütlich und nicht revolutionär. Und warum es nicht sinnvoll ist, gegen die EU nur zu agitieren, anstatt sie besser zu machen: Damit können sich ab jetzt die Tories im Vereinigten Königreich auseinandersetzen. Somit bleibt das eigentlich Entscheidende, solange die Strukturen in Europa auch nur halbwegs so sind wie sie heute sind: Man soll sich nicht von politischen Rahmenbedingungen scheu machen lassen. Entscheidend ist vielmehr, dass man investiert ist. Denn die gegenwärtigen Rahmenbedingungen haben für Investoren am Aktienmarkt auch erfreuliche Aspekte: Weniger Optimismus bedeutet auch in der Realwirtschaft eine geringere Bereitschaft, Geld zu investieren, den Wettbewerb zu verschärfen, bestehende Strukturen obsolet zu machen. Vielmehr sichert es die bestehenden Positionen. Dazu muss man nur auf die Immobiliengesellschaften schauen: Wenig Neubau heißt weniger zusätzlicher Wettbewerb, heißt steigende Mieten bei knapp bleibendem Wohnraum, bequemer geht es kaum. Das gilt analog für viele Branchen. Und erklärt teilweise die trotz schwacher Konjunkturentwicklung weiterhin sehr soliden Margen. In China sieht man das Gegenteil: Wildes Investieren überall, Überkapazitäten, Preiskriege, und als Ergebnis eine Aktienperformance, die das Wirtschaftswachstum im Vergleich zu Europa nicht ansatzweise widerspiegelt.

Wenn Qualitätsaktien zu Value-Titeln werden: Eine schmerzhafte Metamorphose

Und damit zum Aktienmarkt:

Trotz historisch gesehen allgemein niedriger Bewertungen haben sich einige Nebenwerte schwächlich entwickelt. Hauptverlierer waren diesmal nicht die qualitativ eher durchschnittlichen Unternehmen, sondern oft die ehemaligen Lieblinge, die Opfer ihrer vormals hohen Bewertung wurden. Das Problem mit hoch bewerteten Aktien ist immer eines: Wenn der Trend und die Begeisterung einmal nachlassen, ist es ein ganz, ganz langer Weg, bis sich nachhaltiges Interesse einer neuen Investorengruppe einstellt, nämlich das der Value-Investoren. Wenn eine Aktie nicht mehr viel zu teuer ist, sondern nur noch teuer, dann bedeutet das immer noch kein Kaufinteresse. Auch nicht bei etwas teuer, oder halbwegs fair bewertet, oder bei leicht unterbewertet, sondern eben erst bei deutlich unterbewertet. Was wiederum oft einhergeht mit einem operativen Geschäft, das nicht mehr so schwungvoll läuft wie zu den erfreulicheren Zeiten. Wenn also eine fallende Bewertung auf fallende Ergebnisse trifft.

Das Problem für die ehemaligen Wachstumsaktien, die ihre Metamorphose zur Value-Aktie durchlaufen haben, wird dadurch verstärkt, dass es immer weniger Value-Investoren zu geben scheint. Nach zehn und mehr Jahren einseitigen Investierens in Qualitäts- und Wachstumstitel, an allererster Stelle aber das Jagen von Kurs- und Gewinnmomentum, ist dem Value-Stil schlicht und ergreifend die Feuerkraft aufgrund immer weiter schrumpfender Assets ausgegangen.

Private Equity trifft auf börsennotierte Unternehmen: Dramatische Unterbewertung wird sichtbar

In was für einer Größenordnung mittlerweile „Value“ am Markt angeboten wird, kann man an zwei Übernahmen im letzten Jahr sehen: Die Software AG sowie die Aareal Bank. Geboten wurden Aufschläge von jeweils ca. 50% auf den Börsenkurs vor der Übernahmeankündigung, mit der Versicherung, dass man nun aber wirklich in mehreren Schritten ans Äußerste gegangen ist. Leider hat das nicht so ganz gestimmt.

Denn nach den Übernahmen sah die Entwicklung folgendermaßen aus: Beide Unternehmen verkauften die als Wachstumsbereiche angesehenen Sparten, die angeblich außerhalb der Börse ohne den üblichen Quartalsdruck weiterentwickelt werden sollten, nach nur wenigen Monaten. Und in beiden Fällen, obwohl sie das jeweils kleinere Segment der Unternehmen darstellten, wurde ein Preis erzielt, der dem gesamten Kaufpreis für die übernommenen Unternehmen entsprach. Bedeutet also einen Gewinn von mehr als 100 % auf den angeblich ausgereizten Kaufpreis innerhalb von weniger als einem Jahr, nachdem den Aktionären jeweils schon eine Prämie von 50 % gezahlt worden war. Es ist offensichtlich, dass Software AG und Aareal Bank niedrige Bewertungen hatten, allerdings standen sie nicht allein damit: Auf diesem Bewertungslevel gibt es genug andere Unternehmen.

Übrigens: Wir werden die verkauften Bereiche vermutlich in ein paar Jahren zu einem Vielfachen des heutigen Übernahmepreises bei einem erneuten Börsengang angepriesen bekommen, und wahrscheinlich wird auch dies über die Bühne gehen, siehe Börsengang Douglas. In den Worten Warren Buffetts: Buy a company, leverage it up, change the accounting, get it back to the market. Zurück kommen diese Aktien dann, wie im Fall von Douglas, nach ein paar mittelgroßen Übernahmen und einer verhunzten Bilanz zu deutlich höheren Bewertungen als sie einst von der Börse gingen. Dann sind auf einmal wieder ausreichende Investorenmengen bereit, den Jubelarien der begleitenden Banken zu lauschen. Die Bilanz ist deshalb regelmäßig verhunzt, weil kurz vor dem Börsengang noch einmal eine deftige Ausschüttung vorgenommen wird, in der Regel die Tilgung eines Vendor Loans, der offiziell Fremdkapital ist, aber vom Eigentümer gestellt wurde. Mit den Erlösen des Börsengangs soll dann Wachstum ermöglicht werden, in der Regel geht aber ein mehr oder weniger großer Teil in die Tilgung der Vendor Loans. Ökonomisch also ein Verkauf eines Unternehmens, wobei der Verkaufserlös eben vorab ausgeschüttet wurde. Eigenkapital haben diese Unternehmen auch nur deshalb vorzuweisen, weil sie Goodwill und andere immaterielle Wirtschaftsgüter bis zur Schmerzgrenze aktivieren. Es ist immer wieder faszinierend, dass dies niemanden zu stören scheint, außer die Aktie läuft nach dem Börsengang schlecht.

Faule Ausreden, nicht am Aktienmarkt zu investieren, gibt es immer

Alles schön und gut. Allerdings stellt sich die Frage, warum Investoren sich nicht an Unternehmen beteiligen, die heute börsennotiert sind und auf oft rekordtiefen Bewertungen handeln. Gründe, die genannt werden, sind die fehlende Liquidität, die es bei Private Equity oder Immobilien-Investments ebenfalls nicht gibt, politische Unsicherheit, die private Unternehmen anscheinend nicht trifft. Gleiches gilt für bessere Wachstumsperspektiven in den USA, die ebenfalls bei privaten Unternehmen oder Immobilien keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Bleiben am Ende zwei Gründe, die wirklich relevant sind: Zum einen regulatorische Ursachen, wie z. B. das Gleichsetzen von Kursschwankungen mit Risiko durch Investoren selbst, vor allem aber die staatliche Aufsicht. Über Risiken im Immobilienimperium Benko war übrigens erstmals etwas zu lesen, als das Konstrukt schon im Straßengraben gelandet war. Zuvor hat sich niemand über undurchsichtige Strukturen den Kopf zerbrochen, und die Wertansätze waren vollkommen stabil, und damit war ja alles bestens. Faszinierend. Zum anderen das Investieren über ETFs, wo immer mehr Geld in die immer gleichen Themen hineinfließt, ohne sich in irgendeiner Form großartig Gedanken zu machen, ob das, was man da kauft, auch halbwegs angemessen bewertet ist. Das ist Momentum-Investieren in seiner reinsten Form. Hauptsache die Überschrift stimmt thematisch.

Value-Investing hilft, das Risiko einer Abwärtsspirale zu vermeiden…

Unangenehm wird es nur, wenn ein Trend nicht mehr weiterträgt, und Unternehmen, die aus unserer Sicht weiterhin gut sind, aber ein paar schlechtere als erwartete Quartale verzeichnen, ihre Anhänger verlieren. Ohne dass die eigentliche Qualität sowie das Geschäftsmodell des Unternehmens an sich in Frage stehen, werden hier in Jahren aufgelaufene Gewinne innerhalb von ein paar Quartalen pulverisiert, und die Karawane zieht weiter zum nächsten Thema. Um einmal ein paar Namen zu nennen, die uns jahrelang als überteuert vorkamen und in die wir deshalb, zumindest seit längerem, nicht investiert haben: Aixtron, Compugroup, Sartorius, Carl Zeiss, Hugo Boss, United Internet, 1&1 Drillisch, Evotec, Teamviewer, leider auch die bei uns weiter geschätzte HelloFresh. Nicht selten ist dann der Gewinn von zehn Jahren verloren, und wenn nicht, ist die Aktie manchmal noch nicht unten. Jedenfalls ist es so, dass das Momentum, das die Aktien nach oben getrieben hat, bei einem Wegfall einen Fall ins gefühlte Bodenlose bedeuten kann: Keine Value-Investoren (wenn es die noch gibt), Ausscheiden aus Indizes, schlechter werdende Presse, kritische, teilweise aggressive und frustrierte Aktionäre, schlechtere Gewinnerwartungen, tiefere Bewertungs-Multiples, Short-Seller.

…und gelegentlich in einer Aufwärtsspirale investiert zu sein

Insofern werden wir auch in Zukunft unseren Schwerpunkt auf den ungeliebten Aktien mit dennoch soliden Geschäftsmodellen haben, die über eine niedrige Bewertung verfügen, und die dementsprechend nach unten besser abgesichert sind. Solange sich keine ganz dramatischen Dinge ereignen. Und ungeliebt bedeutet natürlich nicht: immer ungeliebt, sondern eben zur Zeit. Was in den letzten zehn Jahren auf eine größere, ziemlich stabile Gruppe zutraf. Was sich geändert hat im Laufe der Jahre: Die Bewertung ist immer noch weiter gesunken (die Investoren brauchten ja das Geld, um die Mag 7 und den Bitcoin zu jagen), Dividendenrenditen von sechs, sieben oder acht Prozent sind keine Seltenheit mehr (ja, und man kann diese auch kürzen, aber das gilt für alle Unternehmen), Free Cash Flow Yields von deutlich über zehn bis teilweise zwanzig Prozent gibt es ebenfalls, und das Beste ist: Die Unternehmen verwenden das Geld immer häufiger zum Aktienrückkauf. Und weniger zum Ausbau ihres Empires, mit wie in der Vergangenheit gesehen oft überteuerten Übernahmen, die nach zehn Jahren zu (Achtung, Standardausrede:) nicht cash-wirksamen Abschreibungen führen, meistens durch das nachfolgende Management. Und nicht cash-wirksam ist jede Abschreibung, leider ist das Geld trotzdem weg, nämlich schon zum Zeitpunkt der Übernahme. Hätte Daimler auf die Übernahme von Chrysler verzichtet, und Bayer auf die von Monsanto und stattdessen gelegentlich eigene Aktien zurückgekauft… ach, lassen wir das.

Königsdisziplin bleibt natürlich ansonsten das Finden von ein paar Unternehmen, bei denen sich eine Spirale nach oben entwickelt statt nach unten: Steigende Gewinne bei steigenden Bewertungen. In einem Markt, in dem sich Investoren auf immer weniger Unternehmen mit immer höheren Bewertungen fokussieren ist eines in unseren Augen ziemlich sicher: Das Finden dieser Unternehmen, die die Spirale nach oben durchlaufen können, wird dank steigender Kandidatenzahl einfacher. Was man mitbringen muss, ist immer noch Zeit. Die einem jedoch, wie erwähnt, oft mit deftigen Dividendenzahlungen kompensiert wird und im besten Falle durch Aktienrückkäufe noch weiter verbessert wird.

Also in Summe: Wirtschaftliches Umfeld lau, ganz sicher nicht überhitzt, Inflation eher fallend, was die Voraussetzung für Zinssenkungen durch die Notenbanken ist, Unternehmen mit wenig aufregenden, aber auch weitgehend stabilen Erwartungen und einer ordentlichen Profitabilität, Investoren abseits der Hype-Themen eher skeptisch sowie Aktien mit einer häufig sehr niedrigen Bewertung: Das sieht als Ausblick erfreulich aus.

Ihr Martin Wirth

FPM-Kommentar Reducing the Noise von Raik Hoffmann: 2/2024 vom 16.04.2024

 

Fehlallokation von Kapital: Wo ist das „really smart money“?

 

  • „Private Equity“ vs. „Public Equity“
  • Irrationale Bewertungen
  • Moderne Trends befördern Bewertungsdiskrepanzen
  • Gute Gründe für die Rückbesinnung auf kleine und mittlere Unternehmen

 

„Private Equity“ vs. „Public Equity“

Kürzlich las ich bei Citywire die Überschrift: "Family Office Studie: Jetzt ist ein interessanter Zeitpunkt, um in die Offensive zu gehen." Beim Lesen des Artikels musste ich entgegen meiner Erwartung allerdings feststellen, dass jetzt nicht etwa eine Erhöhung der Aktienquote in Erwägung gezogen wird, sondern dass die Gewichtung der "Alternatives" zu Lasten von Aktien und Cash erhöht werden soll. Warum dabei die Allokation von Public Equity zu Private Equity verschoben werden soll, kann man wohl auch als Feigheit vor dem Inhaber des Family Office ansehen. Warum die Schwankungen der Börse diskutieren müssen, wenn man sich dieser Problematik mit Private Equity entziehen kann.

Ökonomisch ist es jedenfalls mehr als fraglich, aktuell in Private Equity zu investieren, wenn große Teile des „öffentlichen“ Aktienmarktes auf historisch niedrigen Bewertungen handeln, sei es nach Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bzw. Enterprise Value/EBIT, oder bei Wachstumswerten nach Enterprise Value/Sales, nachdem diese teils 80 bis 90 % verloren haben. Es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, die auf Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 5 bis 8 oder niedriger handeln. Investitionen in niedrige Multiples am Aktienmarkt bei gleichzeitig überschaubaren eingepreisten Zukunftserwartungen dürften sich als überlegen zu Private Equity erweisen. Warum? Private Equity wird nicht in der Lage sein, in großem Stil Unternehmen mit niedrigeren Bewertungsmultiples als zur Zeit an der Börse verlangt werden, zu erwerben. Warum sollte auch jemand ein solides Unternehmen für den fünf- bis achtfachen Jahresgewinn an Private Equity verkaufen? Da zahlen strategische Käufer höhere Bewertungen, oder aber der Verkäufer wartet im Zweifel etwas ab.  So lange die Exit-Multiples, also die Bewertungen, die am Aktienmarkt erzielbar sind, nicht steigen, sind Verkäufe von Private Equity-Investments, von Spezialsituationen einmal abgesehen, relativ schwierig. Ein Beispiel dafür ist das Douglas-Desaster nach jahrelanger Halteperiode.

Bei nun gleichzeitig wieder höheren Finanzierungskosten und niedrigeren Bewertungen am Aktienmarkt als in den vergangenen goldenen Jahren kann das Modell nicht mehr so gut funktionieren wie früher. Das ist eine logische Konsequenz der niedrigen Bewertungen für kleine und mittlere Unternehmen sowie dem Kurseinbruch vieler Wachstumswerte an den Börsen geschuldet. Somit bleibt Private Equity-Investoren wohl nichts anderes übrig, als sich ihre Beteiligungen gegenseitig hin und her zu verkaufen, um die Bewertungen hochzuhalten und Abschreibungen zu vermeiden.

Dass die Börse die bessere Alternative darstellt, um frisches Geld zu investieren, sieht man auch daran, dass Private Equity dort mehr und mehr aktiv wird. Beispiele am deutschen Aktienmarkt sind Software AG (dort wurde über den Verkauf eines Teilbereichs an einen strategischen Investor gleich der gesamte Kaufpreis refinanziert), aber auch Aareal Bank, SUSE und Synlab. Diese Unternehmen hatten eines gemeinsam: Private Equity-Investoren waren bereits beteiligt, und aufgrund der gedrückten Aktienkurse konnten sie trotz einer erforderlichen Prämie auf die jeweils aktuellen Kurse zu einem attraktiven Preis wieder aufstocken, teilweise deutlich unter den Preisen des Börsengangs vor nicht allzu langer Zeit. Wenn man will, kann dann noch ein Delisting angestrebt werden - eine Unsitte, die sich dank inkompetenter Rechtsprechung breitmacht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Unternehmen mit 100 % Free Float ins Visier der Unternehmenskäufer geraten.

Irrationale Bewertungen

Wie irrational die Bewertungen vieler Unternehmen an der Börse sind bzw. waren, lässt sich exemplarisch an einigen Beispielen zeigen. So gab das Unternehmen Deutz im Januar bekannt, dass man einen strategisch nicht mehr erforderlichen Unternehmensbereich (E-Motoren für Boote) an einen strategischen Investor (Yamaha) verkaufen will. Für 2 % des Deutz-Konzernumsatzes (ca. EUR 40 Mio.) bekam Deutz als Verkaufserlös geschätzt EUR 80 - 90 Mio., obwohl dieser Bereich einen EBIT-Verlust von EUR 23 Mio. (!) machte. 15 % des Börsenwertes erzielt für 2 % hochdefizitären Umsatz. Trotz des Kurssprungs auf die Meldung hin liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Deutz immer noch bei 7. Ein weiteres Beispiel ist Süss Microtec, die EUR 75 Mio. für einen Geschäftsbereich erhielten, der einen hohen einstelligen Millionenverlust einfuhr. Auch hier: Für geschätzt etwa 10 % hochdefizitären Konzernumsatz gab es knapp 25 % der Börsenbewertung. In beiden Fällen hätte der Käufer besser die ganze Firma gekauft, sich den gewünschten Bereich genommen und den Großteil der ansonsten profitablen Firma mit Gewinn weiterverkauft – die typische Spielwiese von Private Equity-Investoren.

Moderne Trends befördern Bewertungsdiskrepanzen

Was sind jetzt die Gründe für diese Bewertungsdiskrepanzen? Neben der wachsenden Präferenz von institutionellen Investoren für Private Equity-Investments liegt es wohl auf der Seite der privaten Investoren an dem seit vielen Jahren propagierten Trend zu ETFs. Egal was man liest, überall werden fast nur noch ETFs empfohlen. Auch wenn es natürlich Faktor-ETFs oder ETFs auf MDAX oder SDAX gibt, sind die Empfehlungen doch überwiegend ETFs auf MSCI World, S&P 500, Eurostoxx, DAX sowie andere Indizes mit hochkapitalisierten Aktien. Das Geld fließt damit überproportional in die großen Werte, während insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen Investoren fehlen. Neben den ETFs nimmt man noch ein paar Einzelinvestments in allseits bekannte Tech-Werte und etwas Zockerei mit Bitcoin & Co. und fertig ist der „moderne Vermögensmix“ und die Erklärung für die Performance der "Magnificent Seven". Wenn man sich jetzt noch vor Augen führt, dass ETFs mittlerweile einen Marktanteil von 60 % aufweisen, bekommt man eine Ahnung von der Akribie, mit der Investments am Aktienmarkt durchleuchtet werden. Es kommt aber noch schlimmer: Bei neu allokiertem Kapital dürften die Marktanteile eher bei 100 % als bei 60 % liegen, netto wahrscheinlich offensichtlich sogar darüber dank Umschichtungen von aktiven in passive Vehikel.

Gute Gründe für die Rückbesinnung auf kleine und mittlere Unternehmen

Was könnte diesen Trend wieder umkehren und den Fokus auf deutsche Small und Mid Caps lenken?

1.)          Kleine und mittlere Unternehmen schneiden im Konjunkturaufschwung überdurchschnittlich ab. Ausgehend von der aktuellen Lage (auslaufende Rezession, Zinssenkungsphantasien, niedrige Bewertungen) dürften historisch gesehen die Chancen die Risiken deutlich übertreffen. Obwohl die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen für 2024 wieder auf ein Nullwachstum herunterrevidiert haben, ist der Ifo-Index zum zweiten Mal in Folge gestiegen und mittlerweile wieder auf dem Niveau vom Sommer 2023 angekommen. Die Chemieindustrie als eine wichtige Branche scheint ebenfalls ihren Boden gefunden zu haben, nachdem der Lagerabbau bei den Kunden zum Ende gekommen ist.

2.)          Obwohl die Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen historisch meistens mit einer Prämie zu Large Caps handeln, hat sich dieses Phänomen mittlerweile gewandelt. So haben sich die absoluten Bewertungen von Small und Mid Caps von den Bewertungshöchstständen der letzten 20 Jahre halbiert und handeln mittlerweile unter den Bewertungen von Large Caps.

3.)          Auch wenn die Kapitalmärkte möglicherweise zu optimistisch sind, was Zeitpunkt und Ausmaß der Zinssenkungen angeht, ist der sogenannte "FED-Put" wieder eine mögliche Maßnahme der Notenbanken. Vor einem Jahr bei hohen Inflationsraten wäre es den Notenbanken unmöglich gewesen, auf einen Wachstumsrückgang oder eine Krise mit Zinssenkungen zu reagieren, genauso wenig wie zu Zeiten der Null-Zinsen. Dies ist nun wieder anders, und von daher haben Aktien – von gelegentlichen, immer möglichen Korrekturen abgesehen – neben der Bewertung und einer sich eher bessernden Konjunktur eine zusätzliche Unterstützung. Es kann sein, dass sich Investoren bei vielen hochkapitalisierten Titeln mit einer anspruchsvollen Bewertung darauf verlassen. Dies würde dann natürlich analog auch für Small und Mid Caps gelten.

4.)          Selbst Vertreter des Parteienspektrums links der Mitte verstehen zunehmend, dass die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft dringend verbessert werden müssen und diskutieren unter anderem Steuersenkungen sowie einen Abbau der Bürokratie. Auch wenn der Weg ein weiter Weg sein wird, waren die Chancen dafür wohl lange nicht so gut wie heute.

5.)          Angesichts der massiven Bewertungsdiskrepanzen zwischen „Public Equity“ und Private Equity ist es nur eine Frage der Zeit, bis strategische Private Equity-Käufer stärker am Aktienmarkt aktiv werden dürften.

6.)          Reiche Privatpersonen (in der Kategorie Milliardäre) werden diese Diskrepanzen ebenfalls mehr und mehr ausnutzen. Ein gutes Beispiel ist Klaus-Michael Kühne, der neben seinem Anteil bei Hapag-Lloyd mittlerweile auch größere Aktienpakete bei Lufthansa und Brenntag erworben hat. Was ist die logische Verbindung? Logistik, dort kennt er sich aus! Daniel Kretinsky und seine Aktienkäufe börsennotierter deutscher Unternehmen sind ein weiteres Beispiel. Ich höre schon das Wehklagen: Die Reichen werden immer reicher.

7.)          Wenn über die Probleme des Standorts Deutschlands gesprochen wird, sollte man immer berücksichtigen, dass viele Unternehmen global aufgestellt sind und in zahlreichen Regionen weltweit produzieren. Investiert man in deutsche Aktien, erhält man bekanntermaßen regelmäßig keine Unternehmen, die ausschließlich in Deutschland tätig sind. Was man aber erhält, sind ein deutscher Konzernsitz und das deutsche Rechtssystem, das bei allen Klagen über die verschiedenen Schwierigkeiten immer noch weit überdurchschnittlich arbeitet. Da muss man als Maßstab gar nicht Russland oder China nehmen, auch in den USA kann man einige unerfreuliche Erfahrungen machen. 

8.)          Mehr und mehr Unternehmen legen Aktienrückkaufprogramme auf. Wenn niedrige Bewertungen und hohe Cashflows aufeinandertreffen, und diese dann aggressiv für Rückkäufe verwendet werden, wird auf kurz oder lang für Aktionäre ein erheblicher Mehrwert geschaffen. Aktuell sind hierfür die großen deutschen Banken gute Beispiele. Zum halben Buchwert und zum vier- bis fünffachen Jahresüberschuss bewertet, werden große Teile des Gewinns zum Rückkauf ihrer eigenen Aktien verwendet. Das ergibt Renditen nach Steuern von mehr als 20 %. Deutsche Autohersteller wie BMW und Mercedes fallen ebenso in diese Kategorie, aber auch eine zunehmende Zahl kleinerer Unternehmen. Wenn die Bewertungen nicht steigen sollten, wird man irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft rechnerisch stolzer Unternehmenseigentümer.

9.)          Die Konzentration von immer mehr Anlegergeldern in den immer selben Aktien erhöht das Risiko für diese Aktien in einer Korrektur. Was nicht mehr gehalten wird (wie viele Small und Mid Caps), kann während einer Korrektur von der breiten Masse auch nicht mehr verkauft werden. Vielmehr ist es sogar so, dass manche Aktien in diesen Segmenten durch Hedge Funds geshortet werden und als Finanzierungsquelle für Investments in den allseits beliebten Unternehmen verwendet werden. Solche Aktien könnten von einer Korrektur sogar profitieren.

10.)        Und last but not least: Es bleibt zu hoffen, dass sich spätestens nach der nächsten Bundestagswahl die politischen Rahmenbedingungen soweit verbessern, dass sich das Klima für unternehmerisches Handeln und für Investoren deutlich aufhellt.

Nachdem die Aktien kleiner und mittlerer Unternehmen in den letzten drei Jahren je nach Index (SDAX, MDAX) 30 bis 40 % underperformed haben und auch dieses Jahr schon wieder deutlich hinten liegen, gibt es zumindest gute Gründe, dass vor dem Hintergrund einer sich potenziell verbessernden konjunkturellen Lage vielleicht nicht sofort eine Outperformance eintritt, aber zumindest eine mehr als realistische Chance besteht, dass die Underperformance der letzten Jahre aufhört. Mit einem Investment in diesem Marktsegment erhält man zudem eine bessere Diversifikation und mittelfristig das Potenzial, über eine Outperformance Alpha zu generieren. Falls die Aktien nicht steigen sollten: Dann werden die Rückkäufe ihre Wirkung zeigen.

Ihr Raik Hoffmann

FPM-Kommentar Reducing the Noise von Martin Wirth: 1/2024 vom 22.01.2024

 

Der Grundsatz "Die Hausse nährt die Hausse und umgekehrt" greift zu kurz. Eine differenzierte Betrachtung

 

  • Zweigeteilte Entwicklung an den Aktienmärkten
  • Schlechte Politik kostet Wachstum, beeinträchtigt die Stimmung und bestimmt damit kurzfristig die Rendite an Aktienmärkten
  • Bewertung in der Breite hat sich in den letzten zehn Jahren fast halbiert
  • Deutsche Investoren lassen sich vom Ausland die Butter vom Brot nehmen
  • Auf Basis der Bewertungen müssten sich sehr solide Renditen ergeben

 

Das Jahr 2023 verzeichnete vordergründig auf Indexebene deutliche Gewinne. Allerdings gibt das Gesamtbild die Entwicklung nur unzureichend wieder. Nach einem breit angelegten Aufschwung in der ersten Hälfte des Jahres konzentrierten sich die Kursgewinne im zweiten Halbjahr im Wesentlichen auf die sehr großen Titel, während der breitere Markt stagnierte oder sogar deutliche Kursverluste verzeichnete. Dies galt auch für Titel, die keineswegs in ihrer Entwicklung enttäuschten, bei negativen Überraschungen hingegen waren die Kursverluste teils drastisch. Was wieder einmal neue Chancen kreiert hat. Gegen Ende des Jahres fanden Portfoliobereinigungen statt, die in unseren Augen deutlich über das Ziel hinausgeschossen sind. In Summe verzeichneten die Indizes der hochkapitalisierten Werte deutlich überproportionale Gewinne.     

Zweigeteilte Entwicklung an den Aktienmärkten

Was führte zu dieser zweigeteilten Entwicklung, und wie soll man damit umgehen?

Zunächst einmal enttäuschte die Konjunktur. Dies galt insbesondere für Deutschland. Die im zweiten Halbjahr erwartete Erholung blieb aus. Das wirkte sich zum einen auf die Erträge der Unternehmen, in einem viel größeren Umfang jedoch auf das Sentiment gegenüber deutschen Aktien allgemein und kleinen und mittleren Titeln insbesondere aus. Und das Problem hat einen Namen, auch wenn politische Börsen eigentlich kurze Beine haben sollten: Die Bundesregierung, die diesbezüglich zu den Regierungen anderer europäischer Staaten mindestens aufgeschlossen hat.

Schlechte Politik kostet Wachstum…

Sie verfolgt ungetrübt von fachlicher Kompetenz ihre ideologiegetriebenen Projekte, setzt (leider unabsichtlich) die De-Growth-Phantasien in die Realität um, und wundert sich über den fehlenden Zuspruch des Wählers und dessen Abwandern zu anderen Parteien.

Die Verwaltung blüht, die Bürokratie ebenfalls, woran keineswegs nur die aktuelle Regierung schuld ist, und einer der wenigen Sektoren, die in Deutschland konstant Personal aufbaut ist der Staat selbst. Leider geschieht dies nicht in den bürgernahen Bereichen, vielmehr in den Verwaltungen der öffentlichen Verwaltung. Dort denkt man sich dann offensichtlich aus, wie man das Leben noch etwas komplizierter gestalten könnte.

Mitten in der Energiekrise die letzten Kernkraftwerke abzuschalten war offensichtlich aus volkswirtschaftlicher Sicht ebenfalls keine Meisterleistung. Vor allem, wenn man sich dann noch über die durchwachsene Verfügbarkeit französischer Atomkraftwerke beschwert. Kein Wunder, dass diverse energieintensive Betriebe sich an andere Standorte umorientiert haben und nicht auf eventuelle tiefere und vor allem eine sichere Energieversorgung zum Ende der Dekade warten wollen. Und im Gegensatz zu dem, was die Regierung verbreitet: Wohlstand wird nicht in erster Linie in der Pflege und durch die öffentliche Verwaltung erarbeitet, sondern in der Industrie. Und wenn diese verschwindet, gibt es eben weniger zu verteilen.

Erfolgreich waren auch die Maßnahmen zur Beseitigung der Wohnungsnot, zumindest für Besitzer heruntergewirtschafteter Immobilien, die vorerst auf dem Vermietungsmarkt keine neue Konkurrenz fürchten müssen: Zunächst wird so ziemlich jede Maßnahme diskutiert und teilweise umgesetzt, die potentielle Investoren abschrecken kann, von Mietpreisbremse, Kündigungsschutz, der Beteiligung der Mieter an der CO2-Umlage, Auflagen noch und nöcher, garniert mit steigenden Zinsen, und dann wundert man sich, warum der Neubau einbricht. Da der Staat ja gerne auch Vermieter spielen will, kauft er sich gelegentlich eine Immobilie, die dann aufgrund von Geldmangel doch eher verrottet als saniert wird, wie in Frankfurt zu bestaunen ist.

Als Begründung für die schwache Entwicklung findet der Staat auch immer jemanden der Schuld ist: Im letzten Jahr die schwache internationale Wirtschaft, unter der die exportlastige deutsche Wirtschaft gelitten habe. Z.B. durch das schwache Wachstum in China, immerhin nur noch 5 %. Ach so. Und daher ist die Regierung natürlich auch weiter der Ansicht, dass die beschlossene Politik gut ist, nur unter der schlechten Kommunikation leidet. Auf deutsch: Die Leute sind leider etwas dumm, man muss es ihnen besser erklären, dann verstehen sie endlich die höhere Weisheit dahinter.

All das ist ja ganz unterhaltsam, wenn man nicht selbst betroffen ist, aber es hat eben auch Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Und dürfte der Hauptgrund sein, warum Deutschland am Tabellenende im Hinblick auf das Wachstum des letzten Jahres gelegen hat. ABER: Man kann auch sehen, dass eine Regierungspolitik, solange sie sich irgendwo in den normalen, westlichen und freiheitlichen Bahnen bewegt, einen sichtbaren, aber begrenzten Einfluss auf die Wirtschaft hat. Unterstellt man, dass das Regierungshandeln hoch geschätzt 1 % des Volkseinkommens gekostet hat, liegt der Schaden bei 40 Mrd. €. Das ist viel Geld, aber rechtfertigt nicht ansatzweise die Wahrnehmung, dass die deutsche Wirtschaft in einer tiefen und nicht heilbaren Krise gefangen ist. Eine Schrumpfung des Einkommens, wenn man nicht wie Teil der Regierung Wachstum grundsätzlich als nicht wünschenswert ansieht (auch wenn man dann gleichzeitig selbst immer höhere Ansprüche an den Staat und die Allgemeinheit formuliert), ist nicht schön. Aber nicht das Ende der Welt: Deutschland hat 2023 ein höheres Einkommen erwirtschaftet als in jedem Jahr der Geschichte, mit Ausnahme eben von 2022. Selbst wenn die deutsche und die europäische Volkswirtschaft seit Jahren und dank Bürokratie, konstant steigenden Steuern und Abgaben und immer mehr Vorschriften eine ziemlich blutarme Veranstaltung geworden ist: Es wird in jedem Jahr immer noch ein substantielles Volkseinkommen erwirtschaftet und verteilt, und an der Verteilung kann man unter anderem dank Aktieninvestments erfreulicherweise auch teilnehmen. Zudem ist eine weitere Verschlechterung der Regierungspolitik nicht zu erwarten, da wurde schon einiges ausgeschöpft. Und eine Radikalisierung ist ebenfalls nicht zu befürchten, das ist einer der Vorzüge des Bundeskanzlers. Insofern ist das Risiko diesbezüglich sehr limitiert. Wenn man die Fallhöhe beurteilen will: Anfang 2022, wohlgemerkt nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, erwartete der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung noch ein Wachstum für 2023 von 3,6 %!! Das Ergebnis, nach einer richtigen Schätzung für 2022, weicht bemerkenswerte 4 %-Punkte von der Schätzung ab. Und das kann man in der Entwicklung der konjunktursensibleren Branchen am Aktienmarkt seit damals ablesen. Was wiederum bedeutet, dass die Erwartungen nach unten hin ziemlich belastbar sein dürften. Was zudem in der verkürzten Betrachtung „schwache deutsche Konjunktur = schlechte Aussichten für Unternehmen“ nicht beachtet wird, ist, dass die börsennotierten Gesellschaften oft global aufgestellt sind.

…und beeinträchtigt die Stimmung, was kurzfristig die entscheidende Komponente für die Rendite an den Aktienmärkten ist

Allerdings hat die bescheidene Erfolgsbilanz der deutschen Regierung wie auch der europäischen Verwaltung einen auf kurze Sicht für die Investoren viel höheren Preis als das schwache Wachstum: Durch die verschlechterte Stimmung haben sich die Bewertungen für verschiedene Marktsegmente in den letzten Jahren deutlich nach unten verschoben und befinden sich teilweise auf Tiefstständen, was vor dem Hintergrund weiterhin bescheidener Anlagealternativen im Rentenbereich umso erstaunlicher ist. Das steht im Gegensatz zur allgemeinen Wahrnehmung, dass Aktien teuer seien. Nur: Wenn Apple mehr wert sein soll als der gesamte deutsche Aktienmarkt, was ja sein kann und worüber hier nicht diskutiert werden muss, bedeutet die hohe Bewertung von Apple bei gleichzeitig hoher Indexgewichtung noch lange nicht, dass der ganze US-Markt und schon gar nicht der deutsche Aktienmarkt teuer sein müssen.

Ein guter Teil dieser Abwertung dürfte also auf die Wahrnehmung eines äußerst bescheidenen Zustands der deutschen Wirtschaft zurückzuführen sein. Dies ist nicht nur übertrieben, auch wenn die Sklerose in Deutschland wie auch in Europa insgesamt seit vielen Jahren anhält, es betrifft auch in erster Linie viele Unternehmen, die auf den deutschen Markt allein angewiesen sind. Börsennotierte Unternehmen sind in der Regel international, oft global aufgestellt, insofern hat der Sitz des Unternehmens nicht den entscheidenden Einfluss auf den Erfolg einer Gesellschaft. Genau dies wird aber an den Börsen implizit unterstellt, wenn man sich einmal die Bewertungsdiskrepanzen von deutschen und amerikanischen Unternehmen mit vergleichbaren Produkten und Geschäfts-modellen sowie einer ähnlichen regionalen Aufstellung anschaut.

Bewertung in der Breite hat sich in den letzten zehn Jahren fast halbiert

Insbesondere hat sich dies in der Bewertung bei kleineren und mittleren Unternehmen niedergeschlagen. Es gab über längere Zeiträume, aufgrund der genannten Rahmenbedingungen, ein äußerst geringes Investoreninteresse, gleichzeitig Abgabedruck. In passiven Produkten sind diese Unternehmen ebenfalls unterproportional vertreten, und da immer mehr Kapital in passiven Produkten investiert ist und aus aktiven Produkten abfließt, werden eben auch die Unternehmen, die nicht in der ersten Reihe stehen unabhängig von ihrer tatsächlichen Werthaltigkeit verkauft. Gleichzeitig verlief das Geschäft der Unternehmen trotz der Rezession in Deutschland weitgehend stabil, teilweise zäh, teilweise aber auch sehr gut. Insofern sehen wir Bewertungen, die oft jenseits von Gut und Böse sind und eine ziemlich traurige Zukunft unterstellen. Schaut man allein auf die Aktienkursentwicklung, sieht man den Bewertungsverfall seit fast zehn Jahren nicht unmittelbar. Dies liegt an den steigenden Gewinnen, die die meisten Unternehmen in dieser Zeit erzielt haben. Gleichzeitig ist die Substanz der Unternehmen seit damals durch die einbehaltenen Gewinne regelmäßig deutlich gestiegen. Auf der heutigen Basis sind in Zukunft bei halbwegs stabilen Rahmenbedingungen zweistellige Renditen theoretisch fast die zwingende Konsequenz. Man sollte sich zudem vor Augen führen, dass die heutigen Ergebnisse durch die immer noch nachwirkenden Coronafolgen sowie den Verwerfungen in Folge des Überfalls von Russland auf die Ukraine beeinträchtigt werden, von den nach oben geschossenen Zinsen ganz zu schweigen.

Die Bewertungskompression hat verschiedene Ursachen

Was waren die Ursachen dafür, dass deutsche (und andere europäische) Aktien derart vernachlässigt wurden? Da können wir nur Vermutungen anstellen.

Am einfachsten ist natürlich, abgesehen von der dürftigen politischen Performance in Europa, bei stabil hohem Erklärungswert, die Aussage, dass die Hausse die Hausse nährt und umgekehrt. Apple und auch die anderen amerikanischen Technologieriesen sind mehr wert als der ganze deutsche Aktienmarkt, warum soll man sich da noch die Mühe machen, ins Detail zu gehen. Unabhängig von der Bewertung, zugegeben, aber die spielt in vielen Anlagestrategien zurzeit nur eine untergeordnete Rolle.

Daneben sind die Wachstumsperspektiven, global gesehen, eher schwächer geworden: Demographie, eine reifere Volkswirtschaft in China, mehr Regulierung, Begrenzung durch die Knappheiten natürlicher Ressourcen, beginnend beim CO2-Thema.

Die ausufernde und teilweise unsinnige Regulierung dürfte eine wichtige Rolle spielen

Dann die ausufernde Regulierung: Sie betrifft auch viele Investoren in ihrem eigenen Metier, vorneweg im Risikomanagement, was oft bedeutet, dass Anlagen in erster Hinsicht mit dem Blick auf ihre Volatilität und Liquidität, aber nicht mehr auf der Basis der erwarteten Profitabilität beurteilt werden, sprich: Die Bewertung eines Assets spielt nicht mehr die dominierende Rolle, wenn sie denn überhaupt noch eine Rolle spielt. (Siehe die Bereitschaft, vor gar nicht langer Zeit Staatsanleihen mit einer Laufzeit von hundert Jahren mit einer Rendite von praktisch Null zu kaufen, wohlgemerkt, unter den Augen der Aufsicht.) Und mit der Vernachlässigung der Bewertung schwindet auch die Bedeutung der Kernparameter eines Assets an sich, dreht es sich doch hierbei um die Beurteilung der Erfolgsaussichten, der Qualität und der Nachhaltigkeit eines Geschäftsmodells. Die meisten Unternehmen sind nicht gegründet worden mit dem wesentlichen Ziel, schwankungsarme Erträge zu erzielen und Investoren jederzeit in einem großen Umfang den Einstieg in und Ausstieg aus dem Gesellschafterkreis zu ermöglichen. Da sind wir ganz bei Milton Friedman: The business of business is doing business. Und dabei profitabel zu sein. Die anderen Parameter Liquidität und Schwankungsarmut werden jedoch durch den Bondmarkt deutlich besser bedient. Was dann wiederum erklärt, dass mit den veränderten Präferenzen in diesem Segment des Kapitalmarktes erhebliche Zuflüsse zu verzeichnen sind, und bei Aktien generell nicht viel los ist. Und wenn, dann eben bei den großen Titeln. Die Jagd nach schwankungsarmen Investments in einer unsicheren und instabilen Welt mit unternehmens-ähnlichen Renditen: Dieser Gegensatz bietet Arbitragechancen für Spezialisten wie Bernie Madoff.

Deutsche Investoren lassen sich vom Ausland die Butter vom Brot nehmen und präferieren das Sparbuch

Wenn man sich dann vor Augen führt, wie der Aktienmarkt in der Öffentlichkeit in Deutschland gesehen wird, kann man ein weiteres Problem erkennen. Die Aktienrente, die sich die aktuelle Regierung einmal vorgenommen hat einzuführen, wird angesichts der Haushaltsnöte gestrichen, nachdem sie zuvor als Zockerei aus vielen Ecken verunglimpft wurde. Der Bundeskanzler ist stolz darauf, dass sein Erspartes auf dem Sparbuch real vor sich hin schrumpft. Dass die Familie Quandt jedes Jahr aus ihren BMW-Aktien Dividenden im Milliardenbereich kassiert, wird als Sauerei und ähnliches betrachtet, anstatt dass die Kritiker auf die Idee zu kommen, selbst ein paar BMW-Aktien zu kaufen und mitzukassieren. In den USA gibt es seit Jahrzehnten 401 K Pläne, die der Aktienrente im Großen und Ganzen entsprechen, daneben Pensionskassen, die zu den größten Investoren der Welt gehören. U.a. für Feuerwehrleute und Lehrer, während hier viele Lehrer wahrscheinlich entsetzt wären, Teil der Zockereimaschinerie zu werden. Die größten deutschen Unternehmen, solange es keinen Familienhintergrund gibt, gehören mehrheitlich ausländischen Investoren, mit Quoten bis in den Bereich jenseits der 80 %- Marke. Das müsste man sich einmal in den USA vorstellen. 

Auch die professionellen Marktteilnehmer glänzen in ihrer Einstellung zu den von ihnen beobachteten Unternehmen. Wurde beim Börsengang noch alles in rosa gemalt, ist nach Kursverlusten von 50 bis 90 % auf einmal die Perspektive eher düster. Bei etablierten Unternehmen ist die Lage gespalten. Es gibt Unternehmen, die von den Verwerfungen der letzten Jahre profitiert haben, die nun unter der Kehrseite leiden. Die Unternehmen, die dagegen gelitten haben, profitieren von Aufholeffekten. Im Internet tätige Unternehmen konnten relativ einfach neue Kunden gewinnen, die heute ihr Geld wieder anders ausgeben können. Chemie- und Grundstoffunternehmen profitierten von Knappheiten und eingeschränkten Lieferketten und konnten so hohe Preise durchsetzen, heute wieder leiden sie unter dem Wegfall der vorgezogenen Nachfrage, gestiegenen Zinsen sowie dem Vorratsabbau quer durch die Wertschöpfungskette. Gleiches gilt bspw. für Baumärkte, nachdem „Home Improvement“ eine der Tätigkeiten war, die während der Coronazeit nicht verboten war. Von der laufenden Normalisierung profitieren hingegen Unternehmen wie Lufthansa oder TUI, aber auch Autohersteller, nachdem die aufgestaute Nachfrage seit mehr als einem Jahr weiterhin gute Preise garantiert hat. Jetzt könnte man unterstellen, dass die aktuelle Lage sich wieder einpendeln wird. Das ist aber nicht der Fall: Während bei den Unternehmen, die unter der Normalisierung leiden, unterstellt wird, dass eine Verbesserung kaum stattfinden wird, wird genau das bei den aktuellen Gewinnern als fast sicher unterstellt. Anders lassen sich die gegenwärtigen Bewertungen nicht erklären. Insofern also auch keine Unterstützung von der Seite der Kapitalmarktteilnehmer.

Private Equity Fonds zaubern Volatilität weg und brauchen daher keine Liquidität

Reine Magie sind hingegen Private Equity Fonds: Hier wird die Volatilität von Investments weggezaubert, indem man die Anschaffungspreise fortschreibt, solange die Rahmenbedingungen sich nicht substanziell verändert haben. Damit besteht dann auch kein Bedarf mehr für Liquidität, denn etwas, was nicht schwankt, braucht man ja in Panik auch nicht zu verkaufen. Dass gleichzeitig die Risiken dank massiver Verschuldungsaufnahme der Unternehmen, in die „investiert“ wird, eigentlich deutlich steigen, interessiert auch niemanden. Und da zumindest halbwegs erfolgreiche Unternehmen die Eigenschaft haben, über die Jahre zu verdienen, wird sich die aufgeladene Verschuldung regelmäßig auch auszahlen. Insofern sind diese Vehikel auch in der Lage, Preise für Unternehmen zu bezahlen, die deutlich über dem Level liegen, der am Aktienmarkt üblich ist. Und gleichzeitig muss sich niemand über die Gebühren ärgern, die deutlich über allem liegen, was bei Aktienfonds so üblich ist. Insofern ist es kein Wunder, dass diese Anlageklasse in den letzten Jahren immer beliebter wurde, auch wenn durch den Zinsanstieg auch hier mancher Fonds durchgerüttelt worden sein dürften.

Somit sind die Bewertungsunterschiede zwischen den Assetklassen in den letzten Jahren massiv gewachsen. Während früher einmal üblich war, dass Aktien mit Risikoprämien von 3 bis 4 % gegenüber Staatsanleihen bewertet waren, ist dies schon lange nicht mehr der Fall, wenn man einmal von den Schwergewichten mit einem erstklassigen Geschäftsmodell absieht. Heute liegen diese eher im Bereich von 7 bis über 10 %, ohne dass darin in irgendeiner Form der Inflationsschutz berücksichtigt wäre.

Das führt zu den bemerkenswerten Diskrepanzen, die überall zu beobachten sind. Im Folgenden nur ein paar Beispiele, die nicht notwendigerweise auch in unseren Fonds vertreten sein müssen, sonst könnte man uns ja ein Bias unterstellen.

Substanzielle Unterschiede bei der Bewertung identischer Assets in Abhängigkeit von der Eigentümerschaft

 Und an alle die, die mit der gegenwärtigen Politik in Deutschland nicht einverstanden sind (nach Umfragen zwei Drittel der Bevölkerung und vielleicht auch einige Leser): Beim Chemieunternehmen Lanxess wird unterstellt, dass das im Jahr 2022 gegründete Joint Venture mit einem Private Equity Unternehmen aufgrund der dort üblichen Verschuldung eigentlich pleite ist, die katastrophale Profitabilität des Chemiegeschäfts dank einer rekordniedrigen Auslastung in den nächsten Jahren nicht besser wird und daher eine Kapitalerhöhung erforderlich ist, die höher als der aktuelle Marktwert ist. Fraglich, ob die Private Equity Gesellschaft den Wert ihrer Beteiligung an dem Joint Venture ebenfalls auf Null abgeschrieben hat, wie der Markt es bei Lanxess getan hat.

HelloFresh, ein global tätiger und in den letzten Jahren überaus erfolgreicher und mit ausgeklügeltem Geschäftsmodell agierender internetbasierter Lebensmittelproduzent und -händler, wird bewertet zum 4,5-fachen des letztjährigen EBITDA, das sind ca. 2 Mrd €. Vor zwei Jahren wurde der Lebensmittelauslieferer Gorillas, bekannt durch schwarz gekleidete Radler in einzelnen deutschen Großstädten, in einer Private Equity Finanzierung mit mindestens 3 Mrd. € bewertet, ohne dass in diesem Geschäftsmodell irgendeine Besonderheit erkennbar war. Das Unternehmen ist mittlerweile offensichtlich pleite.

Die Software AG wurde im vergangenen Jahr durch einen amerikanischen Finanzinvestor übernommen. Das Angebot lag um mehr als 50 % über dem vorherigen Aktienkurs. Sechs Monate später verkauft der Investor einen Geschäftsbereich (man kann unterschiedlich rechnen, aber es ist grob geschätzt 50 % des Konzerns) und erhält dafür bereits fast seinen gesamten Kaufpreis zurück. Der, wie gesagt, 50 % über dem vorherigen Börsenkurs lag.

Der Free Float von Telefonica Deutschland wird von der spanischen Mutter zurückgekauft, zu 50 % des Preises des Börsengangs vor gut zehn Jahren. Dank umfänglicher, aber aus den Free Cashflow mehr als gedeckten Dividenden kam der Altanleger ohne Verlust aus dem Investment. Telefonica dagegen kann sich über einen Free-Cash-Flow-Yield von aktuell 15 bis 20 % freuen. Die Verkäufer können ihr Geld jetzt in Bundesanleihen zu knapp 2 % anlegen, was neuerdings als attraktiv angesehen wird.

Es gibt weitere Beispiele, und vermutlich im nächsten Jahr noch mehr als heute.

Was dies ändern wird ist offen, aber letzten Endes auch irrelevant: Auf Basis der Bewertung müssten sich sehr solide Renditen ergeben

So weit, so schlecht. Bleibt die Frage, warum sich die Lage nun ändern sollte und was erforderlich ist, um eine Trendwende beim Investoreninteresse auszulösen. Da kann man als Antwort nur geben, dass man dies meistens erst hinterher weiß. Bewertung allein reicht nicht aus, allerdings ist die Bewertung langfristig zwangsläufig der entscheidende Faktor. Mit dem entsprechenden Horizont, also von mehr als zwei Monaten, kann man mit einer substanziellen Sicherheitsmarge investieren. Und bereits heute gibt es offensichtlich zwei Gruppen von Nachfragern, die sich diese Chance zu Nutze machen. Das sind die Unternehmen selbst über ihre Aktienrückkäufe, und zum anderen Finanzinvestoren.

Nach langer Zeit ablehnender Haltung zu Aktienrückkäufen generell kommen immer mehr Unternehmen zum Ergebnis, dass ihre eigenen Aktien unterbewertet sind, quer durch den Markt. Äußerst erfreulich ist, dass der Anlass für diese Rückkäufe die niedrige Bewertung ist und nicht wie in den USA eine ausreichende Liquidität, unabhängig von der Bewertung; oder, noch schlimmer, der Druck, die Verwässerung durch ausgegebene Aktienoptionen zu kompensieren, nachdem deren Wert bei der Berechnung des Gewinns regelmäßig nicht berücksichtigt wird. Oft ist ein Hindernis bei kleineren Unternehmen, dass gar nicht genügend Aktien an der Börse gehandelt werden, um die Programme zügig durchzuführen. Bei größeren Unternehmen sieht das anders aus, und dort geht es auch zügig voran. Das Rückkaufsvolumen dürfte in Summe an den zweistelligen Milliardenbereich heranreichen. Und jede zurückgekaufte Aktie vergrößert den Anteil der verbleibenden Aktionäre, zu einem zurzeit ziemlich günstigen Preis.

Und eben die erwähnten Finanzinvestoren. Diese sehen wir auf dem heutigen Level eher als eine Gefahr als eine Chance. Denn anders als früher, als sie operativ einiges verbessern mussten, um ihre Zielrenditen zu erreichen, ist heute triviales Financial Engineering ausreichend, um substanzielle Gewinne zu erzielen, siehe das Beispiel der Software AG. Insofern besteht die Gefahr, dass man als Aktieninvestor selbst mit auf den ersten Blick erfreulichen Bewertungsaufschlägen über den Tisch gezogen wird, wenn die Mehrheit der Aktionäre auf das Angebot des Investors eingeht. Klar, immer noch besser als Geld verlieren, aber nach einer langen Durststrecke dennoch nichts, was man sich wünscht, anders als ein aggressives Vorgehen bei Aktienrückkäufen.

Was gibt es im Angebot unserer Fonds, und was kann man hier erwarten? Wenn alles einmal wieder halbwegs normal laufen würde? Dargestellt an einigen Positionen des All Cap Funds:

Einen Dienstleister, der Kosten-, Qualitäts- und Markenführer in seiner Industrie ist, mit einem mindestens mittleren bis hohen einstelligen prozentualen Wachstum und einem KGV von 10, mit geringen erforderlichen Investitionen und dementsprechend hoher Ausschüttungsfähigkeit.

Einen Rohstoffkonzern, dessen neuer Standort zu den Kostenführern in der Industrie gehört und dessen Investitionskosten heute höher wären als die Bewertung des gesamten Konzerns, wobei der neue Standort nur ein Viertel des Outputs ausmacht.

Einen Rüstungskonzern, dessen Auftragsbestand den Umsatz des laufenden Jahres um das 5-fache übersteigt und mit steigenden Margen einhergeht und der auf der Basis der eingehenden Aufträge trotz hoher Visibilitat mit einem einstelligen KGV bewertet ist.

Zwei Banken, die in den nächsten zwei bis drei Jahren ca. 30 % ihres Börsenwertes ausschütten werden, erfreulicherweise in großem Teil in Form des Aktienrückkaufs zum (heute) halben Buchwert, was selbigen automatisch weiter steigen lassen wird, und die gleichzeitig die Substanz stärken sollten.

Industrieunternehmen, deren Gewinne zu 50 % aus wiederkehrenden Dienstleistungen und Ersatzteilen stammen und die dennoch, bei einer jeweils soliden Bilanz, nur mit einem KGV von 5 bis 6 bewertet sind.

Wir sehen darüber hinaus auch genug Chancen in anderen Werten, in denen wir zurzeit nicht investiert sind. Dies stellt eine zusätzliche Sicherheit dar, dass diese Bewertungsniveaus ein breit angelegtes Phänomen sind und wir hoffentlich nicht in die einzelnen Fallen getreten sind, die preiswert aussehen, aber ein substanzielles, tiefer liegendes Problem aufweisen. Auf dieser Basis sind wir sehr zuversichtlich, dass die kommenden Jahre durchaus erfreulicher werden sollten als die letzten. Die Bewertungen haben Grenzen nach unten, und wenn sie gesetzt werden durch Investoren, die dann eben gleich das ganze Unternehmen kaufen. Und die laufenden Erträge erfordern kein, noch nicht einmal ein nominelles Wachstum, um die Kurse zu rechtfertigen. Und nominelles Wachstum dürfte allein aus Sicht der höheren Inflationsraten sehr wahrscheinlich sein.

Ihr Martin Wirth

Martin Wirth

Gründer und Vorstand

Erfahrung in deutschen Aktien: seit 1990

Aufgaben: Fondsmanagement, Aktienanalyse und Unternehmensführung

Fonds: Publikumsfonds FPM Funds Stockpicker Germany All Cap
Spezialmandat für ein Single-Family-Office

Auszeichnungen: zahlreiche für die von ihm verwalteten Fonds, mehrfach auch für seine persönlichen Leistungen – so zum Beispiel von der Sauren Fonds-Research AG und Citywire

Stationen:

  • Portfoliomanager der Credit Suisse (Deutschland) AG
  • Aktienanalyst bei der Bank Julius Bär (Deutschland) AG
  • Aktienanalyst der Credit Suisse First Boston

Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, Abschluss als Diplom-Kaufmann 

Raik Hoffmann, CFA

Vorstand

Erfahrung in deutschen Aktien: seit 1997

Aufgaben: Fondsmanagement, Aktienanalyse und Unternehmensführung

Fonds: Publikumsfonds FPM Funds Stockpicker Germany Small/Mid-Cap, FPM Funds Ladon

Auszeichnungen: mehrere für die von ihm verwalteten Fonds und auch für seine persönlichen Leistungen – so zum Beispiel von Citywire

Stationen:

  • 15 Jahre DWS Investment GmbH – im Management des DWS German Small/Mid Cap, als Mitglied im europäischen Small/Mid Cap-Team der DWS und des DWS Makro-Ökonomie-Teams und verantwortlich für Risiko-Szenarien

Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Leipzig, Abschluss als Diplom-Kaufmann